Rückgang der Leerwohnungsziffer? Die Kontroverse ist entfacht

22/02/2022

Immoday

Olivier Toublan

3 Min

 

Immobilienmonitoring II, Februar 2022

 

Die jüngsten Zahlen des BFS zeigen, dass die Leerwohnungsziffer von 1,72% auf 1,54% zurückgegangen ist. Das Ausmass des Rückgangs überrascht. Dieser wird im Übrigen von einigen Marktbeobachtern infrage gestellt. Sie sind der Auffassung, dass die offiziellen Zahlen nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen. Wir ziehen Bilanz.

 

Angesichts der vor einigen Wochen vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichten Zahlen rieb sich so mancher Beobachter des Immobilienmarktes verwundert die Augen: Die Leerwohnungsziffer ist 2021 erstmalig seit elf Jahren wieder gesunken – und zwar deutlich, nämlich von 1,72% auf 1,54%. Mit anderen Worten: Die Quote liegt praktisch wieder bei der Marke von 1,5%, die landläufig als Grenzwert für Wohnungsmangel bezeichnet wird.
 

Wie lässt sich diese Trendwende erklären, die andauern dürfte, auch wenn sich der Rückgang den Ökonomen zufolge verlangsamen sollte? Und vor allem: Was ist von diesen Zahlen zu halten, werden sie doch von einigen Immobilienmarktbeobachtern infrage gestellt. Wir fassen die verschiedenen Argumente zusammen und ziehen Bilanz.

 

Ein sich seit drei Jahren abzeichnender Trend
 

Wie bereits erwähnt, ist die Leerwohnungsziffer gemäss den offiziellen Zahlen von 1,72% auf 1,54% gesunken. Für den Immobilienmarktexperten Fabian Waltert, der im Immobilienmonitor der Credit Suisse einen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht hat, ist dieser Rückgang in erster Linie der Entwicklung der Bautätigkeit geschuldet. «Führte der starke Mietwohnungsbau in den Vorjahren zu einer Entkopplung von der Mieternachfrage, zeigen die Baubewilligungen seit rund drei Jahren einen rückläufigen Trend. Dies kann sowohl mit einer grösseren Zurückhaltung seitens der Investoren als auch mit der mangelnden Verfügbarkeit von Bauland erklärt werden», meint er.

 

Verantwortlich für die starke Trendwende bei den Leerständen dürfte jedoch in erster Linie die Corona-Pandemie sein, welche die Trendwende beschleunigt habe, so der Ökonom der Credit Suisse. «Zum einen führten sowohl die Corona-Schutzmassnahmen als auch Lieferengpässe von wichtigen Baumaterialien zu Verzögerungen in der Fertigstellung von Wohnüberbauungen.»

 

Der Rückgang der Leerstände dürfte sich bald abschwächen

 

«Zum anderen hat die Corona-Krise den Wanderungssaldo im letzten Jahr um mehr als 13 000 Personen erhöht, weil die Anzahl der Wegzüge aus der Schweiz stärker zurückging als die der Neuzuzüge. Auch die Binnennachfrage nach Wohnungen hat sich dank fiskalischer Unterstützung während der Pandemie schnell erholt. Die vermehrte Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, lässt die Flächennachfrage sogar steigen», führt Fabian Waltert weiter aus.

 

Zu guter Letzt ist Fabian Waltert der Meinung, dass sich der Abbau des Leerwohnungsbestands aber wahrscheinlich nicht im aktuellen Tempo fortsetzen wird. «Zwar ist weiterhin ein rückläufiger Trend bei den Baugesuchen zu verzeichnen. Doch die Auftragsbücher der Bauunternehmen sind immer noch gut gefüllt und die Bautätigkeit könnte wieder ansteigen, sobald die pandemiebedingten Produktionseinschränkungen aufgehoben werden. Auch dürfte die zunehmende Rückkehr ins Büro und ins gesellschaftliche Leben den strukturellen Trend zu grösseren Wohnungen ausserhalb der Grosszentren wieder abschwächen.»

 

Offizielle Zahlen bilden nicht die Realität ab

 

Nicht alle sind mit den vom BFS veröffentlichten Zahlen einverstanden. Einige Marktbeobachter sind der Auffassung, dass die Leerwohnungsziffer im Mietwohnungssegment deutlich über dem offiziellen Wert liegt. Diese soll derzeit sogar bei 2,5% liegen, wenn man den von Wüest Partner im Auftrag vom SVIT Schweiz veröffentlichten Zahlen glaubt. Allerdings räumt auch der SVIT Schweiz ein, dass die Leerwohnungsziffer am Schweizer Mietwohnungsmarkt im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, und zwar von 2,8% auf 2,5%.

 

Wie lässt sich diese Differenz erklären? Nach Ansicht vom SVIT Schweiz spiegeln die vom BFS veröffentlichten Zahlen nicht die Wirklichkeit wider. «Der SVIT Schweiz kritisiert die Systematik der offiziellen Leerwohnungsziffer seit längerem. Die Zahlen im Mietwohnungssektor liefern kein verlässliches Bild des Wohnungs- und insbesondere des Mietwohnungsmarkts, weil Eigentums- und Mietwohnungen in der offiziellen Ziffer aggregiert werden und im dynamischen Wohnungsmarkt die allermeisten Wohnungen gar nie leer stehen, sondern direkt an den Nachmieter übergeben werden», heisst es beim SVIT. Anders gesagt: Die Leerwohnungsziffer des BFS umfasst auch Eigentumswohnungen, deren Leerstandsziffer auf einem historisch tiefen Niveau verharrt. Laut dem SVIT dürften diese in der Berechnung nicht enthalten sein.
 

Olivier Toublan für Immoday