Haben wir den Tiefpunkt erreicht?

27/10/2023

Dan Bihi-Zénou

Dan Bihi-Zénou

7 min

Das Umfeld steigender Zinssätze, Inflation und Volatilität hat weltweit in den letzten vier Quartalen einen Prozess der Neubewertung von Immobilien ausgelöst. Die Preise erscheinen jedoch immer noch überhöht, was sich in der anhaltenden Schwäche des globalen Transaktionsvolumens widerspiegelt. Dies wird durch die Statistiken von JLL, die einen Rückgang des Transaktionsvolumens um 50 % zeigen, belegt. In diesem Zusammenhang deutet der jüngste Renditenanstieg von Staatsanleihen in Verbindung mit einer erwarteten Abschwächung der US-Wirtschaft und den zunehmenden geopolitischen Unsicherheiten auf weitere Preisrückgänge hin.
 

Wie aus der nachfolgenden Grafik hervorgeht, ist jedoch zu beachten, dass der Rückgang in den verschiedenen Märkten unterschiedlich schnell erfolgte. Seit der zweiten Jahreshälfte 2022 hat Grossbritannien wahrscheinlich die stärksten Korrekturen, mit Rückgängen zwischen -15 % und -25 % in den verschiedenen Teilsektoren, erlebt. Andere europäische und US-amerikanische Märkte folgten.

 

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Interessant ist, dass Asien geringere Wertverluste verzeichnete und dass in dieser Region und in den meisten ihrer Teilmärkte die gestiegenen Finanzierungskosten nicht nur teilweise in den Immobilienrenditen abgebildet wurden. So stiegen in Hongkong die Finanzierungskosten um mehr als 300 Basispunkte, aber die Renditen für den Einzelhandel nur um weniger als 10 Basispunkte. Oder in Australien, wo die Finanzierungskosten für Logistik um mehr als 300 Basispunkte anstiegen, während sich die Renditen um weniger als 200 Basispunkte erhöhten.
 

In dieser Region haben sich die wirtschaftlichen Aussichten aufgrund einer geringeren Exportnachfrage und eines schwächeren Wachstums in China leicht eingetrübt. Da die Inflation rückläufig ist, haben die Zentralbanken die Flexibilität, die Zinsen beizubehalten oder zu senken, um das Wachstum zu stimulieren. Die Bank of China zum Beispiel hat die Zinsen in diesem Jahr bereits zweimal gesenkt. Daher ist es möglich, dass die Preise für Immobilien in einigen Teilen der asiatischen Region wieder steigen, bevor sie denselben Tiefstand anderer Regionen erleben.
 

Mit anderen Worten, die Immobilienpreise nähern sich wohl in  einigen asiatischer Länder ihrem Tiefpunkt, während sie in Europa und die USA möglicherweise weitere Rückgänge vor sich haben. 
 

Spannungen auf den Märkten in unserer Nähe
 

In Deutschland, wo der Immobilienmarkt derzeit mit der grössten Krise seit Jahrzehnten konfrontiert ist, stossen Entwicklungsprojekte auf Hindernisse, die durch sinkende Preise für Immobilienverkäufe und gleichzeitig einen erheblichen Anstieg – manchmal 25-30 % – der Baukosten verursacht werden. Viele Projekte werden auf Eis gelegt; Es kann Jahre dauern, bis der Baumarkt wieder attraktiv wird. Als Folge davon mussten drei deutsche Bauträger Insolvenz anmelden.
 

In Frankreich stieg der Leerstand von Büroflächen im Grossraum Paris über 8 % und das Vermietungsvolumen blieb mehr als 10 % hinter den historischen Durchschnittswerten zurück. Die Renditen für erstklassige  Büroimmobilien stiegen in Paris auf 4,0 % und in Lyon, dem wichtigsten Sekundärmarkt, auf über 4,50 %. Dies sind die höchsten Werte seit vielen Jahren und angesichts des Investitionsvolumens für dieses Jahr kann davon ausgegangen werden, dass die Renditen weiter steigen werden. Denn nur so lassen sich mehr Transaktionen abschliessen. 
 

Auch in der Schweiz zeigt der Immobilienmarkt Anzeichen von Anspannungen. Die Gesamtrenditen von Anlageimmobilien werden 2023 höchstwahrscheinlich– zum ersten Mal seit über 20 Jahren – negativ ausfallen, da die Indexierung der Erträge die Kapitalverluste wohl nicht ausgleichen wird. Beispielsweise sind die  Werte von Renditeimmobilien seit ihren Höchstständen im Jahr 2022 um fast 10 % gefallen. Trotzdem findet ein grosses Volumen  an angebotenen Immobilien derzeit keine Käufer. Dies bedeutet, dass die «Bid-Ask»Spreads noch weit auseinanderliegen und die Werte wahrscheinlich weiter sinken werden. Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden jedoch Eigentumswohnungen und Villen, deren Werte aufgrund des knappen Angebots weiter steigen.

 

Mietmarkt weiter stabil 
 

Die Situation auf den Mietmärkten blieb in den vergangenen Quartalen weiter stabil. Die Leerstandsquoten zeigten sich im Allgemeinen unverändert. Ein solides Wachstum der Mieten ist im Büro und Gewerbe, im Wohnsektor und in den auf den Grundbedarf ausgerichteten Einkaufszentren zu beobachten. Der Markt weist jedoch eine grössere Variabilität auf. Obwohl die Mieterbilanzen im Allgemeinen solider sind als vor der Pandemie, haben die höheren Kapitalkosten viele Mieter bei ihren Immobilienplänen vorsichtiger werden lassen. In dieser Hinsicht könnte der Rückgang der Inflation den Mietern potenziell mehr Perspektiven bieten und es ihnen erleichtern, Mietentscheidungen zu treffen.
 

In der Schweiz sind die Mieten parallel zu den Zinssätzen und der Inflation gestiegen. Die Leerstandsquote bei Wohnimmobilien ist aufgrund des sehr hohen Migrationsdrucks und des Mangels an neuen Angeboten auf einen nationalen Durchschnitt von 1,15 % gesunken, während die Belegungsquoten bei Büro- und Einzelhandelsflächen steigen. Die Immobilienrenditen tendieren daher zum Anstieg. Angesichts der Tatsache, dass die Renditen auf Staatsanleihen begrenzt sind, führt dies zu einer interessanten Ausweitung der Spreads und Prämien für Immobilien.
 

Überall hat die Konzentration auf erstklassige Lagen zu einem Nachfrageanstieg in bestimmten zentral gelegenen Gegenden geführt, was sich in einer zunehmend divergierenden Performance je nach Qualität und Lage niederschlägt. Bemerkenswert ist, dass die Definition von «Qualität» fast systematisch ESG-Aspekte (Umwelt, Soziales und Governance), die nunmehr für die Erlangung von Liquidität von entscheidender Bedeutung sind, einschliesst.

 

Chancen 
 

Wir empfehlen weiterhin, börsennotierte Immobilienfonds genau zu beobachten, da in ihren Kursen gewisse Wertrückgänge bereits eingepreist sind. Obwohl sich die vom Markt angebotenen Ausschüttungsrenditen im Durchschnitt nicht veränderten, hat eine gewisse Streuung dazu geführt, dass beispielsweise in der Schweiz einige börsennotierte gewerbliche Immobilienfonds im Oktober Renditen von ca. 6,0 % (ein Anstieg von 90 Basispunkten in 6 Monaten) boten und einige Wohnimmobilienfonds einen Anstieg von bis zu 60 Basispunkten verzeichneten und nun Renditen von fast 4 % bieten. Es ist anzumerken, dass die Preise der Wertpapiere auf diesen Niveaus bereits die Erwartungen einer weiteren Reduzierung des Immobilienwertes um bis zu 15 % widerzuspiegeln scheinen.
 

Investitionen in Wohnimmobilien dürften aufgrund des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage langfristig eine defensive Strategie sein. Auf der Angebotsseite gibt es einen Mangel an verfügbarem Wohnraum, da die Entwicklungskosten aufgrund der ESG-Komplexität und der Inflation der Baukosten steigen. Dahingegen nimmt auf der Nachfrageseite der Druck auf Mietwohnungen zu, da die Produktionen von neuen Wohnungen limitiert ist. Gleichzeitig ist die Verfügbarkeit von Finanzierungen eingeschränkt, die Bevölkerung wächst und ein kultureller Wandel zu einem flexiblen Lebensstil findet statt.
 

Es kann interessant sein, sich auf die Resilienz der Logistik zu konzentrieren. Sie steht mit Trends wie der zunehmenden Verbreitung von E-Commerce, «Reshoring» und der Tendenz von Unternehmen, die Resilienz ihrer Lieferketten zu erhöhen, in Einklang.
 

Strategien zur Umwandlung von veralteten Immobilienbeständen an attraktiven Standorten in ESG-konforme und flexible Flächen stehen aktuell im Fokus. Auch wenn sie nicht ganz günstig sind, könnten sie es den Anlegern ermöglichen, den Bedürfnissen des Marktes, der sich auf diesen  Bereich konzentriert, gerecht zu werden.
 

Dieser Artikel wurde unter der Leitung von Dan Bihi-Zenou (Ing., MBA, Insead DP-C) verfasst, einem anerkannten Immobilienexperten mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Bereich der Sachanlagen in der Schweiz und auf internationaler Ebene. Zoltan Szelyes von Macro Real Estate war ebenfalls daran beteiligt. Gemeinsam wollen sie den Leserinnen und Lesern von Immoday regelmässig ihre Einschätzungen und Perspektiven für die direkten und indirekten Immobilienanlagen auf lokaler und globaler Ebene vermitteln.