Ist ESG in den USA wirklich passé?

18/04/2024

Immoday

Olivier Toublan

5 min

Die Entscheidung mehrerer grosser US-amerikanischer Asset-Manager, bei ihren Anlagen Nachhaltigkeit künftig nicht mehr zu berücksichtigen, zog fast schon schwarzmalerisch anmutende Analysen nach sich. Tatsächlich zeichnet sich in den USA jedoch ein viel differenzierteres Bild. Trotz des politischen Drucks in gewissen Bundesstaaten sind ESG-Kriterien für Immobilieninvestoren nämlich nach wie vor relevant. Eine Analyse des Schweizers Patrick Richard, der im Rahmen verschiedener Fonds knapp 12 000 Wohnungen in den USA verwaltet.

 

In den vergangenen Monaten erklärten mehrere US-amerikanische Asset-Management-Riesen, dass Nachhaltigkeit für sie nicht mehr oberste Priorität habe, da zu strenge ESG-Auflagen dem langfristigen wirtschaftlichen Interesse ihrer Kundinnen und Kunden entgegenstünden. Hinter diesen Ankündigungen steckt – das mag für uns in Europa überraschend sein – politischer Druck. So haben gewisse Bundesstaaten wie Florida und Texas ihren Pensionskassen verboten, in Fonds zu investieren, die auf Nachhaltigkeit setzen. Bedeutet das das Aus für ESG? Zumal Trends und Entwicklungen im Schnitt mit rund 5 Jahren Verzögerung von den USA auf die Schweiz überschwappen.
 

Wir haben uns mit dieser Frage an Patrick Richard gewandt, den Gründer und CEO von Stoneweg US. Der Waadtländer hat 2006 Procimmo mitbegründet und verwaltet seit 2016 mit der in Genf ansässigen Stoneweg SA verschiedene Immobilienfonds in den USA, unter anderem den an der Schweizer Börse kotierten Varia US Properties. Die Assets under Management dieser Fonds belaufen sich auf knapp USD 2 Milliarden und umfassen rund 12 000 Wohnungen, die von einem vorwiegend in Florida ansässigen 40-köpfigen Team verwaltet werden.
 

Herr Richard, ist ESG für Sie wichtig?

 

Ja. Zum einen, weil ich in Europa ständig mit den Themen nachhaltige Entwicklung und soziale Verantwortung konfrontiert war. Und zum anderen, weil ESG eindeutig der beste Weg ist, um die Attraktivität und den Wert unserer Immobilien zu steigern, wodurch sich wiederum die Rendite langfristig maximieren lässt. Und genau das wollen unsere Investoren. 
 

Wenn hier über den Immobiliensektor in den USA gesprochen wird, werden aber ganz andere Töne angeschlagen.

 

Das ist eine Frage des politischen «Lärms», wie ich es nenne. Es stimmt, dass gewisse Bundesstaaten wie Florida und Texas ihren Pensionskassen verboten haben, in Fonds zu investieren, die Nachhaltigkeit offen fördern. Diese beiden Staaten stellen aber nicht die Mehrheitsmeinung in den USA dar. Ausserdem sind sich institutionelle Anleger – unabhängig vom herrschenden politischen Druck – bewusst, wie wichtig Nachhaltigkeit vor allem im Immobiliensektor ist. Das ist ganz klar der Tenor, wenn man mit ihnen hinter verschlossenen Türen spricht. 
 

Inwiefern ist ESG für den US-Immobiliensektor wichtig?

 

Wenn meine Immobilien nachhaltig sind, sind meine Versicherungsprämien niedriger und ich bekomme bessere Finanzierungsbedingungen. Wenn ich beispielsweise Solarmodule installiere, verringere ich meine Stromrechnung, kann schlussendlich die Kosten senken und somit den Wert der Immobilie steigern. Alle Investoren sind für diese Argumente empfänglich. Um sie zu überzeugen, muss aber natürlich jeder Rappen, den ich in Nachhaltigkeit investiere, auch Rendite abwerfen.
 

Wie ist aber dann die Entscheidung von z. B. BlackRock zu interpretieren?

 

Das ist, wie schon gesagt, politischer Lärm. Im Grundsatz hat sich nichts geändert. Nachhaltigkeit ist für diese Asset-Manager nach wie vor wichtig, auch wenn sie das nicht mehr offen sagen. Als kleine Anekdote: Manche Fonds passen bei Meetings mit Investoren in Bundesstaaten, in denen ESG verpönt ist, einfach ihre Präsentation an. Sie streichen den Nachhaltigkeitsteil, verändern aber ihre Anlagepolitik in keinster Weise.
 

Man bekommt den Eindruck, das ist in erster Linie eine Frage politischer Überzeugungen, der alte Graben zwischen Republikanern und Demokraten. Ist dem so?

 

Da ist schon etwas dran. Während Nachhaltigkeit in gewissen Bundesstaaten schon fast zum Unwort geworden ist, werden in anderen Staaten wie New York immer mehr gesetzliche und behördliche Auflagen geschaffen, um beispielsweise den Energieverbrauch von Gebäuden zu senken. Die USA sind ein riesiger und uneinheitlicher Immobilienmarkt. Die Vorschriften können sich von Bundesstaat zu Bundesstaat komplett unterscheiden. Es zeichnet sich aber ein klarer Trend ab: Auf lange Sicht steigen die Nachhaltigkeitsanforderungen an Immobilien immer weiter, besonders in den grossen Städten. Es kommt also günstiger, bereits heute zu handeln, als einfach abzuwarten.
 

Sie sprechen sich ganz klar für Nachhaltigkeit aus. Kostet Sie das nicht gewisse Investoren?

 

Natürlich, aber das ist nicht schlimm. Die USA sind ein sehr grosses Land mit buchstäblich tausenden institutionellen Anlegern und Family Offices. Es spielt also keine Rolle, wenn ein paar davon nicht in nachhaltige Immobilienfonds investieren können oder wollen. Es gibt immer noch genügend Investoren, für die Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema bleibt, die langfristig investieren und verstehen, dass nicht nachhaltige Immobilien eines Tages an Wert verlieren werden. 
 

Sind diese Investoren in den USA in der Minderheit oder in der Mehrheit?

 

Sie werden künftig in der Mehrheit sein. Auch wenn das Thema Nachhaltigkeit einige Rückschläge hinnehmen muss, was ganz normal ist, wird es sich doch durchsetzen. Aber natürlich unter der Voraussetzung, dass Nachhaltigkeit aus Renditesicht und im Hinblick auf die Immobilienbewertungen Sinn ergibt. 
 

Olivier Toublan - Immoday.ch