Noch vor einem Jahr rechneten alle Beobachter damit, dass der hypothekarische Referenzzinssatz weiter ansteigen wird. Seither hat das Zinsumfeld jedoch gedreht und heute deutet alles eher auf einen Rückgang hin. Welche Folgen hat das für die Mieter und die Vermieter? Diese Frage haben wir einer Expertin gestellt.
Nachdem die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Zinsen kürzlich zum dritten Mal gesenkt hat, ist es nun wahrscheinlich geworden, dass der hypothekarische Referenzzinssatz im Dezember, bei der nächsten Publikation des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO), nach unten korrigiert wird. Aber wie berechnet das BWO eigentlich diesen berühmten Zinssatz? Und welches sind die Folgen eines Rückgangs für die Mieter und die Vermieter? Wir stellten diese Frage einer Expertin auf diesem Gebiet, Eliane Débaz, Leiterin der Rechtsabteilung und Vizedirektorin von deRham, einer der grössten und ältesten Hausverwaltungen in der Westschweiz.
Eliane Débaz, im Dezember 2023, also beim jüngsten Anstieg des hypothekarischen Referenzzinssatzes, rechneten die meisten Beobachter damit, dass dieser im ersten Halbjahr 2024 noch ein drittes Mal ansteigen würde. Das war jedoch nicht der Fall. Was ist passiert?
Tatsächlich, sogar das BWO hatte in seiner vierteljährlichen Publikation «Der Wohnungsmarkt auf einen Blick» vom 4. Quartal 2023 einen Anstieg des Referenzzinssatzes auf 2% im Winter 2024/2025 vorausgesagt.
Der Anstieg der Hypothekarzinsen, der 2022 einsetzte, war zwar tatsächlich recht bedeutend, aber er hielt nicht lange an. Es lag vor allem an der Inflation, die infolge der Covid-Pandemie und des Krieges in der Ukraine anstieg, weshalb es nach vielen Jahren der sinkenden Zinsen zur Trendwende kam. Nachdem die Zinsen für neue Hypotheken einige Monate lang nahe bei 3% gelegen hatten, begannen sie 2024 zum Glück wieder zu sinken. Denn bei der Berechnung des durchschnittlichen Hypothekarzinssatzes, der dem Referenzzinssatz zugrunde liegt, werden nicht nur die Zinssätze für die neuen Hypotheken, sondern auch diejenigen für die bestehenden Festhypotheken – die immer noch sehr tief sind, weil sie z. T. bereits vor mehreren Jahren festgelegt wurden – berücksichtigt. Deshalb erreichte der Referenzzinssatz die 2%-Marke nicht, sondern stieg nur von 1,25 auf 1,75% an.
Wer bestimmt eigentlich den Referenzzinssatz? Und wann kann er geändert werden?
Der Referenzzinssatz wird vom BWO bestimmt. Er wird vierteljährlich neu berechnet und aktualisiert, jeweils am ersten Arbeitstag der Monate März, Juni, September und Dezember.
Wird dieser Zinssatz mit einer strikten Formel berechnet oder nach Ermessen der BWO-Mitarbeitenden bestimmt?
Die technische Definition des Durchschnittszinssatzes zur Festlegung des Referenzzinssatzes ist in der Zinssatzverordnung vom 22. Januar 2008 festgelegt: Es ist der volumengewichtete durchschnittliche Zinssatz der inländischen Hypothekarforderungen der Banken in der Schweiz. Für seine Berechnung gibt es eine spezielle Formel, sie ist auf der Website des BWO im Dokument «Berechnung des hypothekarischen Durchschnittszinssatzes» vom 05.01.2022 zu finden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf aufmerksam machen, dass das BWO kürzlich seine Website mit ausführlichen Informationen ergänzt hat, die insbesondere den Unterschied zwischen dem SNB-Leitzins und dem Referenzzinssatz für Mieten erläutern. Die Mieterinnen und Mieter verwechseln diese beiden Sätze oft.
Gibt es denn eine Korrelation zwischen dem Leitzins der SNB und dem Referenzzinssatz?
Ja, es gibt eine Korrelation, weil die Zinssätze, die die Banken bei der Vergabe neuer Kredite anwenden, vom SNB-Zinssatz beeinflusst sind. Die Korrelation ist aber weder unmittelbar noch strikt, denn bis die Banken nach der Bekanntgabe einer Leitzinsänderung ihre Zinssätze anpassen, braucht es eine gewisse Zeit. Da der Referenzzinssatz dem volumengewichteten Durchschnittszinssatz der bestehenden Hypotheken entspricht, fliessen zudem die «alten» Zinssätze der laufenden Festhypotheken mit ein. Das hat eine glättende Wirkung auf die Entwicklung des Referenzzinssatzes.
Der Referenzzinssatz wird anhand einer Formel berechnet. Bedeutet das, dass seine Entwicklung voraussehbar ist?
Es ist aus mehreren Gründen schwierig, seine Entwicklung genau zu prognostizieren. Zum einen ist schon die Entwicklung des SNB-Leitzinses sehr schwer vorhersehbar, da sie von einem ganzen Bündel von Faktoren abhängt; selbst wenn sie in vielen Gesprächen zwischen Finanzfachkundigen oft und angeregt diskutiert wird, eine Gewissheit gibt es nie. Zum andern basiert die Berechnung des Referenzzinssatzes auf einer umfangreichen Erhebung der bestehenden Hypothekarforderungen bei den Banken, zu der nur das BWO Zugang hat. Für andere ist es daher nicht möglich, diese Daten zu analysieren und daraus eine Prognose für die künftige Entwicklung zu erstellen.
Wirklich? Die Hypothekarzinssätze sind doch allgemein bekannt, sollte es da für Fachleute nicht möglich sein, eigene Berechnungen anzustellen?
Nein, tatsächlich nicht. Ich greife hier die Worte des BWO auf, das bestätigt: «Genaue Prognosen für die weitere Entwicklung des Referenzzinssatzes sind schwierig. Sie hängen neben der zukünftigen Geldpolitik der SNB auch vom Verhalten der Banken und der Hypothekarnehmer ab.»
Ist nach dreimaliger Senkung des SNB-Leitzinses nun nicht doch mit einem Rückgang des Referenzzinssatzes zu rechnen?
Doch, er hat auch bereits begonnen, denn der Durchschnittszinssatz ist von 1,72% am 04. Juni 2024 auf 1,67% am 03. September 2024 gesunken. Sinkt er im nächsten Quartal im gleichen Masse, also um weitere 0,05 Prozentpunkte, wird er nur noch 1,62% betragen, was dann auf 1,5% abgerundet wird. Dazu ist allerdings zu sagen, dass das BWO in seiner jüngsten Publikation «Der Wohnungsmarkt auf einen Blick 3/2024» Folgendes voraussagt: «Aufgrund der Trägheit des Referenzzinssatzes ist in den nächsten Quartalen (noch) mit keiner Veränderung zu rechnen.»
Ich möchte es genau wissen: Kann man nun, nachdem die SNB Ende September ihren Leitzins erneut gesenkt hat, mit einem Rückgang des hypothekarischen Referenzzinssatzes rechnen?
Sagen wir es so: Ein Rückgang – sei es im Dezember 2024 oder aber in der 1. Hälfte des Jahres 2025 – wird tatsächlich wahrscheinlich. Weil aber die realen Daten, die in der Berechnungsformel verwendet werden, nicht bekannt sind, gibt es keine Gewissheit. Zudem hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass sich alles sehr schnell ändern kann, insbesondere in einer Situation wie der derzeitigen, die von bedeutenden internationalen Spannungen geprägt ist.
Falls es zu einem Rückgang kommt, welche Auswirkungen wird das auf die Mieten und für die Mieter und die Vermieter haben?
Mieterinnen und Mieter, deren Miete auf einem Referenzzinssatz von 1,75% oder höher beruht, können auf den nächsten vertraglichen Kündigungstermin eine Mietzinssenkung beantragen. Der Rückgang von 1,75% auf 1,5% gibt Anrecht auf eine Mietminderung von 2,91%, die aufgrund der Entwicklung anderer Kostenfaktoren allerdings ganz oder teilweise kompensiert werden kann. So dürfen die Mieten z. B. bei einem Anstieg des LIK (Landesindex der Konsumentenpreise) um 40% dieser Steigerung angehoben werden; auch höhere Betriebskosten oder allfällige grössere wertvermehrende Bauarbeiten sowie Mietzinsreserven können eine Erhöhung der Miete begründen.
Können sich die Vermieter gegen Herabsetzungsbegehren wehren?
Ja, neben der Weiterverrechnung der erwähnten (gestiegenen) Kosten können sie sich auch gegen eine Mietzinssenkung wehren, wenn sie nachweisen können, dass die betreffende Miete keinen angemessenen Ertrag erbringt oder unter dem orts- oder quartierüblichen Mietzins liegt.
Immoday.ch-Redaktion