
In einer perfekten Welt stünde das öffentliche stets über dem privaten Interesse – auch in der Siedlungsentwicklung und bei Verdichtungsprojekten –, Rekursverfahren wären effizienter organisiert mit weniger Instanzen, und Schadenersatzforderungen gegen missbräuchliche Einsprachen, die der Verzögerung von Bauprojekten dienen, könnten einfacher durchgesetzt werden. Genau dieses Ideal skizziert eine jüngst veröffentlichte Studie des Bundesamtes für Raumentwicklung und des Bundesamtes für Wohnungswesen. Die darin vorgeschlagenen Empfehlungen dürften, wenn alles nach Plan läuft, dem Bundesrat vorgelegt werden.
Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) und des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO) kam zum Schluss, dass die vermehrten Einsprachen und Rekurse «die wichtigsten Ursachen von verhinderten Wohnbauprojekten» in der Schweiz sind. Hinzu kommen die aufwändigen Abklärungen vor der Baueingabe, die hohen Anforderungen an die Planung und die personenabhängigen Verfahren.
Diese Erkenntnisse stellen zwar keine grosse Überraschung dar, dennoch liefert die Anfang Juli publizierte Studie interessante Einblicke. Im Rahmen der Studie wurden rund 440 Personen aus den Bereichen Bauherrschaft, Entwicklung, Architektur sowie Juristinnen und Juristen aus Anwaltskanzleien, der Verwaltung, Hochschulen und Gerichten befragt. Die Autoren schlagen konkrete Massnahmen vor, um gegen die Wohnungsknappheit vorzugehen. Dieser Aktionsplan wird nun geprüft und anschliessend dem Bundesrat vorgelegt, der am Ende darüber entscheiden wird, welche Empfehlungen umgesetzt werden oder zur Umsetzung empfohlen werden. Das dürfte noch mehrere Jahre dauern.
1. Einsprachen von Privatpersonen sollen nicht mehr durch öffentliches Interesse begründet werden können
Immobilienentwickler wissen es längst: In der Schweiz haben Einsprechende bei Bauprojekten leichtes Spiel. «Es gibt ein erprobtes Repertoire an Streitthemen, mit denen opportunistische Einsprachen und Rekurse legitimiert werden», ist in der Studie zu lesen. Dabei werden häufig «Passepartout»-Begründungen angeführt, z. B. der Lärmschutz oder der Mehrverkehr. Dies selbst dann, wenn das Projekt im Rahmen administrativer Verfahren bereits ausführlich besprochen und genehmigt wurde.
Die Rechtsstudie betont, dass es «nicht Aufgabe der Privaten [ist], die Interessen der Öffentlichkeit zu vertreten», und dass die Wiedereinführung der rügespezifischen Legitimation verhindern würde, dass Privatpersonen Einsprachen mit öffentlichen Interessen begründen können. Damit wäre ein signifikanter Teil des «Passepartout»-Repertoires, das heute praktisch fast immer greift, nur noch Verbänden und dem Staat vorenthalten. Die Anzahl der Einsprachen dürfte dadurch deutlich zurückgehen.
2. Höhere Hürden für Einsprachen bei qualitätssichernden Verfahren
Verdichtetes Bauen ist äusserst anspruchsvoll und unterliegt zahlreichen Verfahren, Prüfungen und Auflagen. Erst wenn alle Varianten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungen aller Anspruchsgruppen geprüft wurden, wird eine Baubewilligung erteilt. Gegner eines Bauprojekts können die von Experten entwickelten Kompromisse jedoch auch dann noch infrage stellen.
Gemäss den Studienautoren müssten die Hürden für Einsprachen zu Themen, die in qualitätssichernden Verfahren geprüft wurden, erhöht werden, besonders wenn die Qualität des Projekts überzeugend begründet wurde.
Zumal die meisten dieser Einsprachen nicht, wie von den Einsprechenden oft behauptet, zu besseren Projekten führen. Vielmehr verzögern sie die Bauprojekte und verteuern die Wohnungen. Häufig zwingen sie die Wohnungsproduzenten auch dazu, auf Wohnfläche zu verzichten oder die Zahl der Wohnungen zu reduzieren.
3. Höhere Kosten und finanzielle Risiken für Einsprechende
Die meisten Wohnungsproduzenten rechnen heutzutage fest mit Einsprachen oder Rekursen. Dies verwundert nicht, ist doch das finanzielle Risiko für die Einsprechenden minimal, was Einsprachen geradezu begünstigt.
Aus diesem Grund, so die Studienautoren, müssten die Kosten und finanziellen Risiken für Einsprechende und Beschwerdeführende erhöht werden.
Obwohl sich Wohnungsproduzenten und Juristen einig sind, dass Einsprachen und Rekurse mehr kosten müssten, gibt es grosse Differenzen bei der Frage, ab wann sich missbräuchliche und opportunistische Einsprachen nicht mehr lohnen würden: Wohnungsproduzenten rechnen mit rund CHF 20 000, Baujuristen gehen davon aus, dass CHF 5000 reichen würden.
Schön und gut, jedoch ist es in der Schweiz schwierig, den Preis für Einsprachen und Rekurse zu erhöhen. Jedoch könnten in den kantonalen Bau- und Planungsgesetzen griffige und verbindliche Definitionen von Rechtsmissbrauch festgelegt werden, um Schadenersatzforderungen gegen missbräuchliche Einsprachen zur Verzögerung von Bauprojekten einfacher durchzusetzen.
4. Beschleunigung von Verfahren
Nach Einschätzung der Studienautoren wird die Wohnungsproduktion nicht nur durch missbräuchliche und opportunistische Einsprachen ausgebremst, sondern auch durch die langen Verfahrensdauern. Um die Abwicklung zu beschleunigen, bräuchte es höhere Hürden für Einsprachen und Rekurse zu Themen, die in qualitätssichernden Verfahren geprüft wurden. Ausserdem sollten Einsprachen und Rekurse sich ausschliesslich auf materiell relevante Gründe beziehen und die Anzahl der Rekursinstanzen müsste verringert werden. Man ist sich also einig, dass die Verfahren beschleunigt und effizienter gestaltet werden könnten, z. B. durch die Einführung von automatischen Bewilligungen nach Ablauf der Behandlungsfristen. Ob dies in der Verwaltung jedoch auf Gehör stösst, ist fraglich.
Dabei würde eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren gerade auch den Bewilligungsbehörden und Rechtsmittelinstanzen zugutekommen, die ohnehin überlastet sind.
Die umfassende Studie liefert den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Situation. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Empfehlungen nicht wie so viele frühere Berichte zu dieser Thematik in irgendeiner Schublade verstauben.
Immoday-Redaktion
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