«Die Ausweitung des Vorkaufsrechts wird die Immobilienentwicklung im Kanton Genf bremsen»
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«Die Ausweitung des Vorkaufsrechts wird die Immobilienentwicklung im Kanton Genf bremsen»

Regulierung 6 min Immoday.ch

Das in Genf geltende Vorkaufsrecht, das sich bisher nur auf Grundstücke in Entwicklungszonen bezieht, wird derzeit vom Kanton nur selten genutzt. Angesichts der immer aktiveren Gemeinden und zweier Initiativen, von denen die eine eine systematischere Nutzung des Vorkaufsrechts einführen und die andere das Vorkaufsrecht auf Immobilien ausdehnen will, zeichnet sich diesbezüglich nun jedoch eine Änderung ab. Ein echtes Damoklesschwert für die Promotoren und es könnte die Immobilienentwicklung im Kanton bremsen.

Wir haben vor einigen Wochen darüber berichtet: Die Asloca Genf hat eine kantonale Initiative lanciert, um das bisher nur für Grundstücke geltende Vorkaufsrecht auch auf die Immobilien auszudehnen, so wie im Nachbarkanton Waadt, wo beispielsweise die Stadt Lausanne seit 2020 rund 15 Mal von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machte, um Liegenschaften mit etwas mehr als 300 Wohnungen im Wert von 142 Millionen Franken zu erwerben. Dies führte zu grosser Frustration bei den Promotoren und Investoren, die bereits die ganze Räumungsarbeit geleistet hatten, bevor ihnen das Objekt durch das Vorkaufsrecht weggeschnappt wurde.

Instrument der Enteignung oder der sozialen Gerechtigkeit?

Die Problematik des Vorkaufsrechts, das je nach Standpunkt als Instrument der Enteignung oder als Instrument der sozialen Gerechtigkeit, der Marktregulierung und ‑dynamisierung betrachtet wird, wurde Ende März an einem von der Immobilienberatungsfirma IAZI organisierten Runden Tisch in Genf diskutiert.

Zunächst wurden einige rechtliche Fragen erörtert, auf die Guillaume Barazzone, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Jacquemoud Stanislas, hinwies. Er erläuterte, dass aufgrund dieses Vorkaufsrechts der Kanton Genf bzw. die Genfer Gemeinden bei jedem Verkauf eines Grundstücks in einer Entwicklungs- oder Industriezone die Möglichkeit haben, dieses Grundstück zu den im Kaufvertrag festgelegten Bedingungen und Preisen selbst zu erwerben. Aber das ist noch nicht alles: Wenn der Kanton mit diesen Bedingungen nicht einverstanden ist, insbesondere weil er den Preis für überhöht hält (d. h., wenn er nicht dem nach den Verwaltungspraktiken des Office du logement ermittelten Preis für Grundstücke in Entwicklungsgebieten entspricht), kann er dem Eigentümer ein Angebot unterbreiten, um das Grundstück zu einem niedrigeren Preis zu erwerben. Weigert sich der Eigentümer, werden die Gerichte eingeschaltet und der Streit kann bis zu einem Enteignungsverfahren führen.

Der Kanton Genf hat in fünf Jahren nur dreimal vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht

Raphaelle Vavassori, die Leiterin der Direction de la planification et des opérations foncières des kantonalen OCLPF erklärt, dass die Transaktionen von Grundstücken in Entwicklungszonen – es sind pro Jahr rund 200 – von den Notaren automatisch dem OCLPF gemeldet werden. Nach einer seit mehreren Jahren unveränderten Praxis prüft das OCLPF bei jeder dieser Transaktionen, ob sie tatsächlich der Entwicklung der betreffenden Zone dient. Mit anderen Worten, will ein Bauträger oder ein Immobilienentwickler ein Grundstück erwerben, greift der Kanton in der Regel nicht ein. Anders sieht es aus, wenn eine Privatperson, die nicht die Absicht hat das Grundstück zu entwickeln, dieses kaufen will.

In diesem Fall kann es sein, dass der Kanton von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht. Bisher war das aber nur selten der Fall. «Der Kanton Genf hat sein Vorkaufsrecht in den letzten fünf Jahren nur dreimal ausgeübt», sagt Raphaelle Vavassori. Alle anderen Fälle, in denen der Kanton intervenierte, endeten mit einer gütlichen Einigung.

Das Vorkaufsrecht auf Gemeindeebene wurde in den letzten zehn Jahren etwa ein Dutzend Mal angewendet.

Ein Damoklesschwert über den Köpfen der Promotoren

Wie Romain Lavizzari, Präsident der Association des Promoteurs Constructeurs Genevois, erklärt, ist das Vorkaufsrecht ein Damoklesschwert für Bauträger und Investoren.

Er räumt ein, dass der Kanton sein Vorkaufsrecht bisher nur sehr zurückhaltend genutzt hat, hauptsächlich aufgrund der umfangreichen und gut definierten Auflagen in den Entwicklungszonen: Die Bedingungen sind klar und werden vom Kanton kontrolliert. Das betrifft die Grundstückspreise genauso wie die Verkaufspreise, das Mietzinsniveau und sogar die Marge des Bauträgers, für den das Vorkaufsrecht zu den Spielregeln gehört, bei deren Nichtbeachtung die Konsequenzen bekannt sind.

Problematisch ist für Romain Lavizzari, dass er heute einen politischen Willen zur Ausweitung der Anwendung dieses Rechts erkennen kann.

Gemeinden wollen die privaten Promotoren ersetzen 

Guillaume Barazzone bestätigt den Trend, dass die Gemeinden immer häufiger in die Rolle des Bauherrn schlüpfen wollen. Sie versuchen, Grundstücke zu erwerben, um selbst Eigentümer zu werden und anstelle der privaten Bauträger zu bauen. Diese können oft jahrelange Arbeit in den Wind schreiben, wenn eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht ausübt. Das ist umso ärgerlicher, als die Summe der erstatteten Kosten und gezahlten Entschädigungen oft geringer ist als die tatsächlichen Aufwendungen für das Projekt.

Letztlich erhöht diese extensive Nutzung des Vorkaufsrechts für die Promotoren die Unsicherheiten, die mit jedem Projekt verbundenen sind. Laut Romain Lavizzari besteht deshalb die Gefahr, dass die privaten Promotoren das Interesse an gewissen Projekten verlieren, was die Immobilienentwicklung im Kanton bremsen wird. Überhaupt, ist es wirklich die Aufgabe der öffentlichen Hand ist, die privaten Promotoren im Wohnungsbau zu ersetzen?

Der Trend geht zu einer immer systematischeren Nutzung des Vorkaufsrechts

In der Tat stellen die Promotoren fest, dass das Vorkaufsrecht der Gemeinwesen immer systematischer genutzt wird. Es stimmt zwar, dass die Gemeinden mit nur einem Dutzend erfasster Fälle in den letzten zehn Jahren bisher einen eher zurückhaltenden Gebrauch davon gemacht haben, doch wie Romain Lavizzari versichert, ändern sich die Dinge schnell. Ihm zufolge haben einige Gemeinden einen Rahmen geschaffen, um ihr Vorkaufsrecht künftig systematisch zu nutzen, was sich in den offiziellen Statistiken noch nicht niederschlägt.

Zudem gibt es zwei Initiativen, die eine häufigere Nutzung dieses Vorkaufsrechts fordern.

Die erste wurde vom Groupement des coopératives d'habitation genevois (Genfer Verband der Wohnbaugenossenschaften) lanciert. Sie will, dass in Genf bis 2030 10% des Wohnungsbestands im Kanton von nicht gewinnorientierten Genossenschaften gehalten werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der Kanton nach Ansicht der Initianten von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen.

Die zweite Initiative ist diejenige von der Asloca, über die wir bereits berichtet haben. Sie verlangt, dass das Vorkaufsrecht auch in anderen Zonen als nur den Entwicklungszonen und auch für Immobilien und nicht nur für Grundstücke gelten soll. Für Guillaume Barazzone würde dies auf eine schleichende Verstaatlichung des Bodens und des Mietimmobilienbestands hinauslaufen.

Was tun, um die Situation zu verbessern?

Zur Klärung der Situation schlägt Guillaume Barazzone eine einfache Lösung vor: Das Vorkaufsrecht der Gemeinden sollte eingeschränkt werden. Es sollte nur dann gewährt werden, wenn öffentliche Einrichtungen wie eine Schule oder ein Theater, nicht aber wenn Wohnungen gebaut werden sollen. Der Wohnungsbau soll der Initiative privater Bauträger oder öffentlich-rechtlicher Stiftungen, deren Ziel der gemeinnützige Wohnungsbau ist, überlassen werden.

Interessant ist, dass in dieser Debatte die Genfer Promotoren und Bauträger, vertreten durch Romain Lavizzari, nicht die Abschaffung des Vorkaufsrechts fordern. Sie halten es für notwendig, dass der Staat die Möglichkeit hat, regulierend und planend einzugreifen. Doch die Anwendung des Vorkaufsrechts müsse eine Ausnahme bleiben und dürfe nicht systematisch erfolgen.

Olivier Toublan - Immoday.ch

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