«Das Potenzial der künstlichen Intelligenz in der Immobilienbranche ist enorm»

15/08/2023

Immoday

Olivier Toublan 

6 Min

Abgesehen von der Theorie: Wie lässt sich künstliche Intelligenz in der Immobilienbranche nutzen? Derzeit ist die Hilfe durch diese Software bei bestimmten Aufgaben zwar real, aber immer noch recht begrenzt. Doch angesichts der rasanten Entwicklung ist das Potenzial enorm. Wir gehen der Frage anhand von vier konkreten Beispielen nach: dem Verfassen einer Anzeige, dem Zeichnen eines Grundrisses, einer Marktrecherche und der Bewertung einer Immobilie.

 

Wird künstliche Intelligenz (KI) die Immobilienbranche revolutionieren? Diese spannende Frage stellten sich die Experten der Credit Suisse. Ihre Schlussfolgerungen haben sie in der neuesten Ausgabe des Immobilienmonitors veröffentlicht. Kurz gesagt: Der Nutzen der verschiedenen KI-Werkzeuge ist derzeit noch begrenzt, da sie manchmal unbrauchbare oder sogar fehlerhafte Ergebnisse liefern. Dennoch gehen die Experten der Bank davon aus, dass sich das schnell ändern wird und dass das Potenzial der künstlichen Intelligenz im Immobiliensektor in Kombination mit anderen Technologien und den Datenbanken der Branchenfachleute riesig ist. Doch sehen wir uns das anhand von vier konkreten Beispielen einmal genauer an.

 

Immobilienanzeigen selbst schreiben? Nicht mehr notwendig. 
 

Der Vermarktungsprozess und die Vermietung erfordern eine regelmässige Kommunikation zwischen Vermietern und Mietern, erläutern die Experten der Credit Suisse. Häufig müssen einander ähnelnde Fragen für jedes Objekt und jeden Kunden manuell beantwortet werden, was einen erheblichen Aufwand darstellt. Im Rahmen des Vermarktungsprozesses müssen zudem Immobilienanzeigen, Informationsbroschüren, Internetseiten usw. erstellt werden. «In dieser Hinsicht lassen sich mit Hilfe der Technologie schon heute zahlreiche Arbeitsschritte beschleunigen und vereinfachen.» 
 

Die Spezialisten der Bank gaben deshalb in ChatGPT die Anfrage ein, eine Immobilienanzeige für sie zu erstellen. Ihre Aufgabenstellung lautete: Schreibe mir eine Immobilienanzeige für eine 3,5-Zimmer-Wohnung in Basel mit einer Wohnfläche von 100 m2, Monatsmiete 2'500 Franken, 2 Schlafzimmer.
 

Das Ergebnis ist ziemlich beeindruckend. Innerhalb weniger Sekunden spuckt die KI einen angemessenen Text aus, der auf den lokalen Markt zugeschnitten ist und alle in der Anfrage geforderten Details enthält. Es lässt sich unmöglich feststellen, dass dieser Text nicht von einer menschlichen Hand geschrieben wurde. Die Spezialisten der Credit Suisse weisen jedoch darauf hin, dass es wesentlich ist, möglichst detaillierte Spezifikationen in die Anfrage einzugeben, um gute Ergebnisse zu erhalten. Andernfalls enthalte die Anzeige womöglich falsche Angaben.

 

Für Gebäudegrundrisse ist die Zeit noch nicht gekommen

 

Die Experten der Bank führten dann einen zweiten Test durch, für den KI-basierte Grafiksoftware anhand einer kurzen schriftlichen Beschreibung den Grundriss einer Wohnung zeichnen sollte.
 

Hier lautete die Aufgabenstellung: Zeichne einen Grundriss für eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 120 m2. Die Küche ist zum angrenzenden Wohnzimmer hin offen. Die Wohnung hat 2 Badezimmer, eines mit Dusche und das andere mit Badewanne. Darüber hinaus verfügt sie über einen Balkon und ein kleines Reduit.
 

Und hier lässt das Ergebnis wirklich zu wünschen übrig: «Der angebotene Grundriss ist überhaupt nicht glaubwürdig. Die Anzahl der Räume entspricht nicht den Vorgaben, Türen und Fenster sind nicht an den richtigen Stellen platziert, einige Räume sind unzugänglich.» 

Auch nachdem die Anfrage geändert wurde, um diese Fehler zu beheben, lässt sich keine wesentliche Verbesserung der Ergebnisse erkennen, berichtet Credit Suisse. «Zurzeit erfasst das Modell nur, wie ein Grundriss aussieht. Es versteht keine inhaltlichen Zusammenhänge wie die Anordnung der Räume, die Anzahl der Zimmer, Türen und Fenster. Und das führt zu einem unbrauchbaren Ergebnis.» 

 

Für die Wohnungssuche sind spezialisierte Internetseiten bald nicht mehr notwendig
 

Nächster Versuch, dieses Mal mit einer einfacheren Anfrage. Gesucht wird eine Wohnung, die den vom Kunden gewünschten Merkmalen entspricht und auf einem regionalen Immobilienmarkt zu finden ist. Die Ergebnisse sind durchaus glaubwürdig, stellen die Experten der Credit Suisse fest. Die Aufgabenstellung lautete: Ich suche eine 3-Zimmer-Wohnung in der Nähe von Zürich mit einer Wohnfläche von ca. 90 m2. Die Miete darf maximal 1900 Franken pro Monat betragen. Ich möchte einen Arbeitsweg von weniger als 30 Minuten. Welche Gemeinden kommen in Frage?
 

Mithilfe von künstlicher Intelligenz erfährt man tatsächlich, in welchen Gemeinden man sein Glück versuchen sollte und welche Arten von Immobilien in der gewünschten Preisspanne zur Miete angeboten werden. Auch wird zum Beispiel erklärt, dass die in der Anfrage angegebene Höchstmiete für die Region Zürich sehr niedrig ist. 
 

Jedoch, so die Experten der Credit Suisse, gibt es manchmal einige Ungenauigkeiten oder sogar Fehler, aber nichts wirklich Gravierendes. «Unterm Strich ist das Gesamtergebnis gut und brauchbar.» Der nächste Schritt wird zweifellos sein, dass künstliche Intelligenz direkt im Internet nach Mietanzeigen sucht. Und ab diesem Tag wird es nicht mehr nötig sein, über spezialisierte Internetseiten zu gehen.

 

Immobilienschätzungen lassen zu wünschen übrig, zeigen aber ein grosses Potenzial 
 

Letzter Versuch: die Schätzung einer Immobilie. Hier lautete die Aufgabenstellung: Ich wohne in einer 100 m2 grossen 3,5-Zimmer-Wohnung am Steghofweg in Luzern; Baujahr: 2022. Wie hoch ist der ungefähre Wert meiner Wohnung?
 

In diesem Fall ist die Antwort von ChatGPT nicht falsch, weist aber deutliche Lücken auf. Der geschätzte Preis basiert nämlich ausschliesslich auf dem Durchschnittswert eines Quadratmeters in der Stadt Luzern. Die Software weist zwar darauf hin, dass es noch andere Faktoren gibt, die eine Rolle spielen können – wie die genaue Lage, bestimmte Merkmale der Immobilie –, aber sie berücksichtigt diese nicht in ihrer Schätzung des Wertes der Wohnung.
 

«Die generierte Antwort kann derzeit nur als eine ungefähre Marktanalyse für das durchschnittliche Preisniveau in einer Gemeinde angesehen werden.» Das könnte sich jedoch ändern, wenn man ChatGPT in Zukunft mit etablierten Schätzmodellen verknüpft. Und: «Die Benutzerfreundlichkeit könnte sich deutlich erhöhen, da eine Bewertung in natürlicher Sprache möglich wäre.»

 

Mit KI kann man sich die Arbeit jetzt schon leichter machen
 

Letztendlich kann man das Glas als halb voll oder halb leer betrachten. Künstliche Intelligenz kann jedoch auf ihrem derzeitigen Entwicklungsstand bereits eine grosse Hilfe für die Fachleute der Immobilienbranche sein. Allerdings muss man sich der Risiken bewusst sein, die mit der Nutzung dieser Werkzeuge einhergehen. So ist es zum Beispiel nach wie vor notwendig, dass eine Fachperson die von der künstlichen Intelligenz gelieferten Ergebnisse prüft. Zudem raten die Experten der Credit Suisse derzeit davon ab, vertrauliche Daten einzugeben, da diese gespeichert und zur Verbesserung des Modells ausgewertet und genutzt werden. 
 

Wenn Sie diesen Artikel lesen, werden die Ergebnisse dieser Tests wegen der rasanten Fortschritte der KI wahrscheinlich bereits überholt sein. In jedem Fall, versichern die Spezialisten der Credit Suisse, bietet diese Software bereits jetzt enorme Möglichkeiten, Prozesse zu beschleunigen und zu automatisieren. Allerdings weisen sie darauf hin, dass für qualitativ hochwertige Ergebnisse eine gute Datenbank entscheidend ist – und leider verfügen viele Immobilienfachleute noch nicht über eine solche. 
 

Am Ende wird sich auch die Frage stellen, ob durch KI erzeugte Ergebnisse als solche gekennzeichnet werden müssen. «In vielen Fällen ist es nämlich jetzt schon unmöglich zu unterscheiden, ob ein Mensch oder eine Maschine den Inhalt erstellt hat.» Kurz gesagt: Die Revolution der KI hat gerade erst begonnen, sowohl in der Immobilienbranche als auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen.


 

Olivier Toublan, Immoday.ch