Epochenwechsel auf dem Wohnungsmarkt

31/10/2022

Immoday

Olivier Toublan

3 min

Der Anstieg der Zinsen und die Verknappung von Baustoffen bremsen die Bautätigkeit, obwohl die Nachfrage hoch bleibt. So könnte es bald zu einem ausgetrockneten Markt kommen, schätzt das Eidgenössische Departement für Wirtschaft.

 

Wie in jedem Quartal veröffentlicht das Eidgenössische Departement für Wirtschaft (WBF) seine Übersicht über den Wohnungsmarkt und kommt in der aktuellen Ausgabe zu einem beunruhigenden Fazit: «Wir erleben gerade einen Epochenwechsel.» 
 

Das heisst im Klartext: Nachdem der Markt jahrelang relativ ausgeglichen war, wenn auch mit ständig steigenden Immobilienpreisen, aber einem Angebot, das grob der Nachfrage entsprach, könnte man es «bald mit einem ausgetrockneten Markt zu tun haben». Das liegt einerseits daran, dass steigende Zinsen und die Verknappung von Baustoffen die Bautätigkeit bremsen, während andererseits die Nachfrage unter anderem aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums hoch bleibt. 

 

Die Beschäftigungslage ist gut 
 

Werfen wir einen kurzen Blick auf die wichtigsten Punkte, die den Immobilienmarkt beeinflussen. Zunächst einmal ist da natürlich die Inflation, die in den letzten Monaten nach fast 13 Jahren Abwesenheit wieder aufgetaucht ist und im Juli 3,4 % beträgt. Die Baupreise werden übrigens bereits davon beeinflusst. Die Inflation dürfte sich auch negativ auf die Haushaltsbudgets auswirken, der Grossteil der Verbraucher rechnet mit wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Laut der Umfrage des WBF «liegt die erwartete finanzielle Lage daher weit unter ihrem Tiefststand, der im Januar 1995 erreicht worden war».
 

Jedoch geht es der Wirtschaft gut, was die Nachfrage nach Immobilien stützen dürfte. Zwar werden die Reallöhne 2022 zurückgehen, doch die Beschäftigungsaussichten sind nach wie vor gut und die Arbeitslosigkeit sinkt stetig. «Nachdem sie im Januar 2021 mit 3,7 % ihren Spitzenwert erreicht hatte, ging sie bis Juli 2022 auf 2,0 % zurück.  Mit Blick auf die absoluten Zahlen wurde seit Juni 2002 keine so niedrige Arbeitslosenzahl mehr verzeichnet.»

 

Auch der Demografie geht es gut 
 

Der zweite positive Punkt, der die Nachfrage nach Immobilien stützen wird, ist das Bevölkerungswachstum. Nicht nur der Wanderungssaldo ist weiterhin positiv, auch das Bevölkerungswachstum profitiert in den letzten Monaten von einer «Geburtenzahl, die seit 1972 nicht mehr so hoch war». Nicht zu vergessen, erinnert das WBF, dass die Schweiz rund 60000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat, was zu einer erhöhten Nachfrage nach Wohnraum geführt hat. Und das Bevölkerungswachstum dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen, wenn man dem Basisszenario des BFS Glauben schenkt, das von einer Wohnbevölkerung von 10,4 Millionen Menschen im Jahr 2050 ausgeht. 
 

Ein Glücksfall also für die Immobilienbranche, der aber auch Veränderungen in der Nachfrage bewirken wird, denn dem BFS zufolge ist «angesichts der demografischen Alterung davon auszugehen, dass die Zahl der kleinen Haushalte mit einer oder zwei Personen in den kommenden Jahren weiterhin stärker ansteigen wird als die Bevölkerung.»

 

Rückgang des Wohnungsangebots  
 

Während sich in Bezug auf die Nachfrage die Lage des Immobilienmarktes recht günstig darstellt, sieht es beim Angebot anders aus, da der Wohnungsbau zurückgegangen ist. Ein Rückgang, der jedoch relativiert werden muss, wenn man die Situation langfristig betrachtet. In der Tat wurden laut Bundesstatistik «im Jahr 2020 rund 49000 Wohnungen gebaut, und für 2021 sowie 2022 werden ähnliche Zahlen erwartet». Das ist zwar weniger als der Rekordwert von 53000 neuen Wohnungen im Jahr 2015, doch liegt die Zahl immer noch deutlich über dem langfristigen Durchschnitt. Zum Vergleich: 2002 waren weniger als 30000 Wohnungen gebaut worden. 
 

Abgesehen davon glaubt das WBF, dass «die Zahlen in Zukunft leicht sinken werden, da in den letzten Monaten etwas weniger Bauanträge gestellt wurden». Andererseits, fügt das WBF hinzu, wird dieser Rückgang durch ein zunehmendes Renovationsvolumen ausgeglichen. Beunruhigender ist «die Knappheit einiger wichtiger Baustoffe, die sich seit 2021 bemerkbar macht und die derzeit einen Risikofaktor darstellt». 

 

Das Problem der Zinssätze 
 

Das grosse Problem des gesamten Immobiliensektors ist natürlich der starke Anstieg der Zinssätze und damit auch der Hypothekarzinsen. Die Sätze für 10-jährige Festverzinsungen bei den grossen Banken liegen inzwischen bei fast oder sogar über 3 %. Seit fast 15 Jahren waren sie nicht mehr so hoch gewesen. Und ihr Anstieg ist wahrscheinlich noch nicht vorüber. Alle Ökonomen rechnen damit, dass die Nationalbank den Leitzins im September erneut anheben wird.
 

Vor diesem Hintergrund begannen die Baupreise, die aufgrund des intensiven Wettbewerbs seit 2011 relativ stabil geblieben waren, 2021 zu steigen und setzten ihren Anstieg im ersten Halbjahr 2022 mit einem Plus von 8 % fort.  Ein Tempo, das im Zuge der Gesundheitskrise und des Krieges in der Ukraine, die zu Störungen in den Lieferketten führten, noch beschleunigt wurde. «Das Angebot an bestimmten Baustoffen ist geschrumpft, was zu einem erheblichen Preisanstieg geführt hat.»

 

Sinkende Leerstandsquote und höhere Mieten 
 

Die positive Situation bei der Nachfrage und das sinkende Angebot sollten logischerweise dazu führen, dass die Immobilienpreise weiterhin steigen und die Leerstandsquoten sinken. Die steigenden Hypothekarzinsen wiederum dürften die Mieten weiter in die Höhe treiben. Und genau das ist auf dem Markt zu beobachten, sagen die Ökonomen des WBF.
 

In Bezug auf die Leerstandsquote ist der erste Rückgang seit 12 Jahren zu verzeichnen. «Am 1. Juni 2021 standen in der Schweiz 1,54 % des Immobilienbestands leer, im Vorjahr waren es 1,72 %.» Ein Rückgang, dessen Ausmass alle Beobachter des Immobilienmarktes überrascht hat und der ihrer Meinung nach durch die gestiegene Nachfrage nach der Coronavirus-Krise bedingt wurde. 
 

Bei den Mieten ist ein Anstieg wahrscheinlich, aber «die Erhöhung des Referenzzinssatzes und damit der Mieten in Verbindung mit dem Anstieg der Hypothekarzinsen, der in den letzten Monaten beobachtet wurde, dürfte frühestens in einem Jahr eintreten», so die Bundesexperten.  Auch wenn «aufgrund der allgemeinen Situation der Teuerung und der seit letztem Jahr zu beobachtenden Angebotsverknappung auf dem Mietmarkt erwartet wird, dass sich der leichte Anstieg des BFS-Mietpreisindexes in diesem Jahr fortsetzen wird». Momentan liegen wir in der Schweiz durchschnittlich bei einem Plus von 1,5 % im ersten Halbjahr, wobei es laut den Bundesökonomen einen grossen Unterschied gibt zwischen den Randregionen, wo die Mieten relativ stabil bleiben, und den städtischen Regionen, wo die Mieten stetig gestiegen sind.
 

Olivier Toublan, Immoday