Ist die Schweizer Immobilienbranche gegen den Zinsanstieg immun?

13/03/2023

Immoday

Olivier Toublan

5 Min

Während in mehreren Ländern der rasante Anstieg der Zinssätze zu einem Sturz der Immobilienpreise geführt hat, zeigt sich der Schweizer Markt widerstandsfähig. Eine aktuelle Studie von Raiffeisen erklärt die Grundlagen für diese Stabilität, die unter anderem auf die Flexibilität der Finanzierung zurückzuführen sind.

 

Das Thema ist bekannt: In den letzten Monaten ist die Inflation in die Höhe geschnellt, und um sie unter Kontrolle zu bekommen, sind ihr die Zinssätze weltweit gefolgt. Als Folge der Zinserhöhungen sind in vielen Ländern die Immobilienpreise zum ersten Mal seit Jahren gesunken. Schweden beispielsweise verzeichnet einen Rückgang der Hauspreise um fast 14 % seit ihrem Höchststand im März 2022. Und so markiert die Zinswende nach mehr als einem Jahrzehnt des billigen Geldes einen Epochenwechsel auf den globalen Immobilienmärkten, lautet das Fazit einer Studie von Raiffeisen, die die Bank in der neuesten Ausgabe von «Immobilien Schweiz» veröffentlicht hat. 

 

Die Schweizer Immobilienbranche ist nicht immun  
 

Doch in einigen Ländern scheint der Immobilienmarkt nicht von den steigenden Zinsen betroffen zu sein – dort steigen die Preise weiterhin. Wie zum Beispiel in der Schweiz. Wie lässt sich das erklären? Zum einen mit der langsamen Entwicklung der Transaktionspreisindizes, führt Raiffeisen an. «Vielerorts dürfte sich die wahre Preisentwicklung erst mit einer Verzögerung von einigen Monaten in den Transaktionspreisen widerspiegeln. Denn diese folgen oft erst mehrere Quartale später auf die tatsächliche Marktdynamik.» Und tatsächlich kündigen in vielen anderen Ländern die Vorlaufindikatoren diesen baldigen Preisrückgang oder zumindest einen geringeren Preisanstieg an. «Kein nationaler Immobilienmarkt wird einem Anstieg der Zinssätze vollständig standhalten können, so robust er auch sein mag.» 

 

Schweizer Immobilien gar nicht so teuer   
 

Doch ist die Situation nicht in allen Ländern dieselbe, betonen die Raiffeisen-Experten, sondern hängt davon ab, wie stark und gesund der jeweilige Immobilienmarkt ist. In der Schweiz war trotz eines äusserst dynamischen Anstiegs «das Preiswachstum etwas weniger ausgeprägt als im OECD-Durchschnitt, wenn man es mit Daten wie dem Lohnniveau oder der Gesundheit der Wirtschaft vergleicht». 
 

So muss beispielsweise ein Haushalt in den USA trotz des starken Preisanstiegs in den letzten Jahren nur etwas mehr als 4,5 Jahre arbeiten, um das zu verdienen, was eine 90 m² grosse Standardwohnung kostet. Das krasse Gegenteil findet sich in Frankreich, wo ein Haushalt ein Einkommen von fast 12 Jahren aufbringen muss, um die gleiche Wohnung zu erwerben. In der Schweiz sind es etwas weniger als 9 Jahre. Womit sie auch hier wieder im Mittelfeld liegt. Im internationalen Vergleich und gemessen an den Löhnen sind Immobilien in unserem Land also nicht besonders teuer, selbst nach dem starken Anstieg in den letzten beiden Jahrzehnten. Weshalb das Risiko eines Preissturzes im Vergleich zu unseren Nachbarländern eher niedrig ist. 

 

Schweizer zu hoch verschuldet? 
 

Ein weiterer Risikofaktor ist die Verschuldung der Haushalte im Verhältnis zu ihrem Einkommen, die im Falle eines rapiden Anstiegs der Zinssätze die finanzielle Stabilität des Landes schwächen kann. Die Verschuldung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich nämlich hoch. Dies ist jedoch nicht wirklich problematisch, versichert Raiffeisen. «Denn in der Schweiz werden Schulden durch Vermögen ausgeglichen, die zu den höchsten der Welt zählen.» Und dank der strukturell niedrigen Zinssätze ist die Zinsbelastung der Haushalte trotz der hohen Schuldenlast niedriger als in fast allen anderen Ländern.»
 

Die einzige wirkliche Gefahr bestünde darin, dass die Zinsen in einem erhöhten Tempo weiter steigen. Doch dies halten die meisten Experten für unwahrscheinlich.  «Unsere starke Währung und unsere Haushaltsdisziplin bedingen in der Regel, dass unser Zinsniveau in Krisenzeiten niedriger ist, was wie eine Art automatischer Stabilisator für den Immobilienmarkt wirkt.» 

 

Eine niedrige Eigentumsquote als Stabilisator  
 

Hinzu kommt, dass sich in der Schweiz die Schulden auf eine kleine Anzahl von Eigentümern konzentrieren, erklären die Raiffeisen-Experten. Die Wohneigentumsquote ist nämlich sehr niedrig. Denn angesichts des Preisniveaus für Immobilien sind nur wohlhabende Haushalte mit hohem Einkommen in der Lage, Wohneigentum zu erwerben. Aus sozialer Sicht ist das fragwürdig, aber wenn man auf die finanzielle Stabilität der Wirtschaft blickt, ist es positiv. «In Krisenzeiten leiden die ärmeren Haushalte tatsächlich deutlich stärker als die wohlhabenden Haushalte, wobei das Risiko von Zahlungsausfällen und Notverkäufen von Immobilien höher ist.» Und damit einer Destabilisierung des Marktes.

Ein weiterer positiver Aspekt für die Marktstabilität ist, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern die Hypothekarschulden in der Schweiz nicht vollständig getilgt werden müssen. «Von dieser Möglichkeit machen sehr viele Hausbesitzer nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen Gebrauch.» 

 

Werden die Zinsen niedriger bleiben?  
 

Wie wir gesehen haben, ist das Zinsniveau in der Schweiz niedriger, und das bei einer Inflation, die deutlich geringer ausfällt als im Ausland. «Sogar unter dem aktuellen Inflationsdruck erweist sich die Schweiz einmal mehr als äusserst krisenresistent», resümiert Raiffeisen.  Was nach Ansicht der Ökonomen auch weiterhin so bleiben dürfte. «Während die Zentralbanken der meisten Währungsräume gemäss den Markterwartungen ihre Politik noch stark verschärfen müssen, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen, dürfte in der Schweiz das vorläufige Ende des Zinszyklus mit dem aktuellen Niveau bereits fast erreicht sein.» Die Finanzierungsbedingungen für Immobilien dürften sich daher weniger stark verschlechtern als anderswo. 

 

Fester oder variabler Zinssatz – welches Risiko? 
 

Die Flexibilität des Schweizer Hypothekarmarktes stabilisiert zumindest kurzfristig auch die Immobilienpreise. Während früher Festhypotheken etwa 80 % des Hypothekarvolumens ausmachten, «gibt es seit dem Anstieg der langfristigen Zinssätze einen Run auf SARON-Hypotheken, denn bei diesen Hypotheken sind die Zinssätze überschaubar geblieben». Das ermöglicht Hypothekarnehmern, den «Zinsschock» vorübergehend abzufedern und trägt dazu bei, dass sich die Immobilienpreise noch nicht sehr stark bewegt haben. «Tatsächlich sind die realen Finanzierungskosten für die meisten Eigentümer bislang kaum gestiegen.» 
 

Damit hätten wir das Beste aus beiden Welten, befinden die Experten von Raiffeisen. Dank dem hohen Anteil an Festhypotheken wird die Mehrheit der Hypothekarschuldner erst mit einer gewissen Verzögerung von gestiegenen Zinsen betroffen sein. Die anderen können auf die noch immer relativ günstigen SARON-Hypotheken ausweichen. Und selbst wenn diese Situation nicht anhält, bleibt den Eigentümern genug Zeit, sich auf einen möglichen dauerhaften Anstieg der Zinssätze vorzubereiten. 

 

Wohnraummangel stärker als der Zinsanstieg 
 

Ein weiterer Faktor für die Stabilität des Schweizer Immobilienmarktes sind die hohen Markteintrittsbarrieren für neue Käufer. «Auch wenn manche dieses System als ungerecht empfinden, ist es dennoch für die Stabilität des lokalen Marktes vorteilhaft», erklärt Raiffeisen.  Barrieren, die in erster Linie finanzieller Natur sind, zumal die Schweiz eines der weltweit strengsten Systeme hat, was das Eigenkapital und die Finanzkraft der neuen Käufer betrifft. 
 

Weitere Barrieren sind gesetzliche Auflagen, darunter die Knappheit von Bauland und eine Bau- und Zonenordnung, die eine Verdichtung bremst, «auch wenn eine Erweiterung angesichts des Bevölkerungsdrucks notwendig wäre». Kurz gesagt: Der Mangel ist noch lange nicht vorüber. Aus sozialer Sicht mag das ungerecht sein, aber «dank diesem Mangel, den niedrigen Zinssätze und der gedämpften Inflation sind die Risiken auf dem Schweizer Wohnungsmarkt im internationalen Vergleich gering». 
 

Auch wenn letztendlich, so die Experten von Raiffeisen, «ein leichter Rückgang der Preise für Wohneigentum in der Schweiz kurzfristig nicht ausgeschlossen werden kann, dürfte sich der Markt aufgrund seiner einzigartigen Merkmale jedoch erneut als einer der widerstandsfähigsten gegen die Krise erweisen». Für bestehende Wohneigentümer ist dies eine gute Nachricht. Für diejenigen, die auf den Rückgang gewartet haben, um Eigentümer zu werden, weniger.  

Olivier Toublan, Immoday