Immobilienfonds: Börse hat laut Raiffeisen wahrscheinlich überschossen

28/11/2023

Olivier Toublan 

Immoday

5 Min

Der Schweizer Mietwohnungsmarkt tritt in die Knappheitsphase ein. Die Mieten sind in den letzten zwölf Monaten stark gestiegen und dürften auch in den kommenden zwei Jahren weiter kräftig anziehen. Dies gilt sowohl für die Marktmieten als auch für bestehende Mietverhältnisse. Kurzum: Dies sind ziemlich gute Nachrichten für Immobilienfonds, wenn die höheren Mieten erst einmal zu Buche schlagen.

 

«Der Schweizer Wohnungsmarkt steuert direkt und mit voller Kraft auf einen Eisberg zu. Es ist der allerletzte Moment, um den Kurs zu ändern.» Eins kann man Fredy Hasenmaile nicht vorwerfen: dass er um den heissen Brei herumredet. Der Chefökonom der Raiffeisen Schweiz ist beunruhigt, dass die sich abzeichnende Wohnungsknappheit in unserem Land relativiert wird, dass keine Massnahmen ergriffen werden – obwohl sich der Schweizer Wohnungsmarkt innerhalb weniger Monate komplett gedreht hat, ohne dass auf der Angebotsseite eine Reaktion zu beobachten wäre – und vor allem, dass strukturelle Probleme, «deren Lösung Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte, benötigen wird», eine allfällige Erholung behindern könnten. 

 

Anzeichen für Verknappung am Mietwohnungsmarkt können nicht mehr ignoriert werden

 

Für Fredy Hasenmaile sind die Fakten klar und können die Anzeichen für eine baldige Verknappung am Mietwohnungsmarkt nicht mehr ignoriert werden. «Die Zahl der verfügbaren Mietwohnungen hat sich innert zwei Jahren mehr als halbiert. Mietwohnungen sind im Schnitt nur noch 27 Tage auf Immobilienportalen ausgeschrieben.» Kein Wunder habe sich das Wachstum der Angebotsmieten auf knapp 4% im Vergleich zum Vorjahr erhöht, so der Ökonom. «Eine Jahreswachstumsrate, die seit fast 15 Jahren nie mehr so hoch registriert wurde.»

 

Dies umso mehr, als auf der Angebotsseite eine Reaktion ausbleibe. Die zahlreichen gesetzlichen und administrativen Auflagen würden nicht helfen, fährt der Chefökonom fort. Nicht nur erschwere bzw. verunmögliche das neue Raumplanungsgesetz die Einzonung von Bauland erheblich, auch die Probleme im Immobilienbereich in der Schweiz würden sich weiter verschärfen: Einspracheflut, Überregulierung im Baubereich, Hortung von Bauland, Unwillen, Aufzonungen in den Grossstädten zuzulassen – ganz zu schweigen von den steigenden Baupreisen und Finanzierungskosten.

 

Die führe letztlich dazu, dass jedes Jahr 10 000 bis 15 000 Wohnungen zu wenig gebaut werden.

 

Total Returns der Immobilien könnten negativ werden

 

Ein weiterer Grund für die Wohnungsknappheit ist die Zurückhaltung der institutionellen Anleger. Noch 2019 hatten diese fast 20 Milliarden Franken in neue Immobilienanlagen in der Schweiz investiert, im Vorjahr waren es weniger als 5 Milliarden Franken.

 

Eine übermässige Sorge sei jedoch fehl am Platz, so Fredy Hasenmaile. Immobilienanlagen blieben für langfristig orientierte Investoren eine attraktive Anlageklasse. Die Gesamtallokation der Pensionskassen in Immobilien sei gemäss den neuesten Daten nicht zurückgegangen.

 

Das Wegbrechen der Nachfrage der institutionellen Anleger werde mittelfristig jedoch nicht ohne Folgen für die Bewertung von Immobilien bleiben.

 

Dies sei nach den letzten, fetten 20 Jahren gar nicht so schlimm, so der Ökonom weiter, dies umso mehr, als er keine starken Abwertungen erwarte. Dennoch: Selbst wenn der Markt leicht, d. h. zwischen 10 und 15%, korrigiere, werde diese Korrektur «die Total Returns von Immobilienanlagen trotz weiter sprudelnden Mieteinnahmen vorübergehend ins Negative ziehen.» 

 

Börse hat Immobilienfonds zu stark abgestraft

 

Solche Nachrichten mögen die Anleger nicht sehr, was die starke Korrektur der börsenkotierten Schweizer Immobilienfonds erklärt. Diese haben seit der Zinswende im Durchschnitt mehr als 20% eingebüsst. Für die Investoren «werden alle wahrgenommenen Veränderungen unmittelbar in die Portfolios eingepreist und es findet keinerlei Glättung statt», erklärt Fredy Hasenmaile.

 

Mit der Folge, dass aktuell viele Fonds mit einem Disagio gehandelt werden. Es sei somit ein deutliches Misstrauensvotum gegenüber den aktuellen Bewertungen. Dies dürfte jedoch nur vorübergehend sein, versichert der Chefökonom der Raiffeisen, denn die Börsen würden zum Überschiessen neigen. «Die Wahrheit dürfte daher, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen.» Dies umso mehr, als sich der Horizont für Immobilienfonds nicht völlig eingetrübt hat: Der Anstieg der Mieten von 4% in den letzten zwölf Monaten dürfte sich in den nächsten zwei Jahren mehr oder weniger wiederholen.

 

Leerstandsquote wieder unter 1,25%

 

Eine weitere Folge der Wohnungsknappheit ist, dass die Leerstandsquote wieder unter die Marke von 1,25% gefallen ist, die von den Raiffeisen-Ökonomen als mietzinsneutrales Niveau angesehen wird. Ihnen zufolge gingen Leerstände von weniger als 1% des Wohnbestands, wie sie ab dem nächsten Jahr zu verzeichnen sein dürften, in der Vergangenheit mit einem realen Anstieg der Marktmieten um weit über 3% pro Jahr einher. Angesichts des geringen Angebots werde der durchschnittliche Anstieg wohl auch in den nächsten zwei Jahren so hoch ausfallen.

 

Ausserdem würden auch Bestandsmieter trotz ihres umfangreichen gesetzlichen Schutzes in den nächsten zwei Jahren Mieterhöhungen hinnehmen müssen. Die Ökonomen der Raiffeisen erwarten zwei weitere Anhebungen des hypothekarischen Referenzzinssatzes – die erste bereits im Dezember. «Womit die Mieten in betroffenen Mietverhältnissen auf den ersten April erhöht werden dürfen.» Durch das Stillhalten der Nationalbank verschiebe sich die zweite eins bis zwei Quartale in die Zukunft und werde statt Ende 2024/Anfang 2025 erst Mitte bis Ende 2025 erfolgen.

 

Olivier Toublan - Immoday.ch