Marc Muller, Gründer von Impact Living: «Es ist möglich, einen Immobilienpark wirklich nachhaltig zu gestalten, aber das hat seinen Preis!»

11/04/2024

Olivier Toublan

Immoday

5 min

Die für eine nachhaltige Gebäudetransformation erforderlichen Technologien stehen zur Verfügung, die Finanzmittel ebenfalls und der Wille zur Umstellung wächst. Die meisten Anlagefonds und Pensionskassen sind sich jedoch des Umfangs der Herausforderungen nicht bewusst. Diese Herausforderungen rühren nämlich auch an die Grundfesten unserer Gesellschaft. So herrscht zum Beispiel in den Bauberufen, die während langer Zeit kaum noch Beachtung fanden, ein riesiger Mangel an Nachwuchskräften.

 

Marc Muller, Leiter von IMPACT LIVING, einem Beratungs-, Ingenieur- und Architekturunternehmen, das im Bereich der energetischen und ökologischen Umstellung tätig ist, nimmt kein Blatt vor den Mund. Wenn er Immobilienfonds oder Pensionskassen berät, welche die Nachhaltigkeit ihres Immobilienparks verbessern wollen, macht er keinen Hehl daraus: Es ist möglich, aber es braucht Zeit und kostet Geld. Und es beeinträchtigt mittelfristig die Rentabilität!

 

Marc Muller, ist es für einen Anlagefonds oder eine Pensionskasse wirklich möglich, nachhaltig zu bauen?


Problemlos. In der Schweiz verfügen wir über alle technischen Fähigkeiten und das erforderliche Know-how, um nachhaltig bauen zu können. Aber man muss es ernst nehmen, sich frühzeitig – lange bevor ein Baugesuch gestellt wird – mit den Projekten befassen und alle Berufsgruppen des Bauhandwerks einbeziehen, um auch die graue Energie, die Herkunft der Materialien, den Materialeinsatz usw. zu berücksichtigen.

 

Haben grosse institutionelle Eigentümer wirklich ein Gewissen für Nachhaltigkeit?

 

Einige ja, ganz eindeutig. Wenn sie jedoch mit dem Ziel, wirklich nachhaltig zu werden, eine Analyse ihres Immobilienparks vornehmen, stellen sie rasch fest, dass die Herausforderungen riesig sind.

 

«Wirklich nachhaltig», was meinen Sie damit?

 

Es geht nicht allein um den Energieverbrauch oder die CO2‑Bilanz eines Gebäudes, auch das Mobilitätsmanagement sollte Berücksichtigung finden, z. B. durch die Installation von Ladestationen für Elektroautos – die übrigens früher oder später wohl sowieso obligatorisch wird. Angesichts der sich abzeichnenden Zunahme von Hitzewellen sollte auch der Verbesserung des Raumklimas Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zudem muss der Gesundheit der Mieterinnen und Mieter Rechnung getragen werden, immerhin sind viele der beim Bau verwendete Materialien potenziell krebserregend. Das sind nur einige wenige Beispiele der zahlreichen Dinge, die bedacht werden müssen.

 

Alles in allem ist das eine ganze Menge!

 

Deshalb sagen wir unseren Kunden, dass sie auch intern Fachkräfte einstellen müssen, um diese Umstellung auf Nachhaltigkeit zu bewältigen, und zwar ganze Teams! Oft muss sogar die Unternehmensorganisation geändert werden, damit die Führungspositionen mit Menschen besetzt werden können, die sich wirklich bewusst sind, welche Herausforderungen die Umstellung schon allein auf rechtlicher und administrativer Ebene nach sich zieht, bei all den Vorschriften, mit denen sich die Immobilieneigentümer herumschlagen müssen.

 

Sind all diese gesetzlichen Pflichten nicht vielmehr nur ein Papiertiger? Es ist doch bekannt, dass die Politik die Fristen im Verlaufe der Zeit immer wieder weiter hinausschiebt.

 

Auf den fehlenden Mut der Politik zu setzen, ist riskant, insbesondere wenn es sich um einen Immobilienpark handelt, der über eine sehr lange Zeit verwaltet werden soll.

 

Ist das so?

 

Da der Immobilienbereich für 45% der CO2-Emissionen verantwortlich ist, kann eine reelle und rasche Verringerung der CO2-Emissionen erreicht werden, indem man die Immobilieneigentümer dazu zwingt, sich an das Pariser Abkommen zu halten. Da die Schweiz ausserdem ein Volk von Mieterinnen und Mietern ist, kann ein solcher Entscheid letztlich sogar ohne grosses politisches Risiko getroffen werden.

 

Grundsätzlich einverstanden, aber viele sind der Ansicht, dass wir es bei realistischer Betrachtung nicht schaffen werden, bis 2050 klimaneutral zu sein, zumindest nicht im Immobilienbereich, und dass deshalb die Frist für die Erreichung der Klimaneutralität verlängert werden wird.
 

In der Tat, die Sanierungsrate des Schweizer Gebäudeparks liegt derzeit bei rund 0,8% pro Jahr. Sie müsste verfünffacht werden, um die Netto-Null-Ziele für 2050 zu erreichen! Diesbezüglich sind wir nicht auf Kurs.

 

Sind sich die institutionellen Immobilienunternehmen denn bewusst, wie wichtig der Umgang mit den verfügbaren Ressourcen ist?

 

Seien wir ehrlich, es gibt grosse Immobilieneigentümer, die sich der Bedeutung und der Dringlichkeit dieses Themas keineswegs bewusst sind. Es gibt aber auch viele Pioniere, die vorangehen und bereit sind, enorme finanzielle Mittel bereitzustellen, um ihre Energie- und Klimabilanz drastisch zu verbessern. Sie tun dies übrigens nicht unbedingt aus ökologischen Gründen, sondern oft einfach aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen, weil sie denken, dass ein sanierter Immobilienpark ihnen in der Zukunft Probleme ersparen und Vorteile bringen wird – zum Beispiel dank attraktiveren Wohnungen – und so mittelfristig ihre Einnahmen sichert.

 

Haben Sie in den letzten Jahren diesbezüglich einen Bewusstseinswandel festgestellt?

 

Ja, ganz eindeutig. Der Beweis dafür: Wir sind so überlastet, dass wir kaum noch neue Kunden annehmen können. Gleichzeitig stellen wir auch fest, dass Greenwashing zwar noch oft vorkommt, aber doch schon deutlich nachgelassen hat, unter anderem weil die Anleger Druck machen sowie aufgrund neuer Umweltbestimmungen.

 

Gibt es in der Schweiz wirklich genügend finanzielle Mittel, um den ganzen Gebäudepark zu sanieren?

 

Ja, in der Schweiz sind die finanziellen Mittel nicht das Problem. Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb einige grosse Immobilieneigentümer noch nicht reagieren. Sie sagen sich, dass sie genug Geld haben, um sich Spezialisten leisten zu können, die das Problem für sie lösen, selbst wenn sie sich erst in letzter Minute darum kümmern. Der Haken an der Sache ist, dass sie sich der Engpässe nicht bewusst sind, die es heute gibt, sei dies bei den Arbeitskräften, bei den Materialien oder bei den benötigten Installationen. Solche Engpässe lassen die Preise stark ansteigen. Übrigens haben die Fonds, die im Bereich der Nachhaltigkeit Pionierarbeit leisten, die Bedeutung dieses Ressourcenkriegs sehr gut verstanden: Wer sich zuerst an die Arbeit macht, hat einen Wettbewerbsvorteil.

 

Was sollte man als Eigentümer einer Immobilie als Erstes tun?

 

Das, was am rentabelsten ist: die Sanierung von Dächern und Kellern. Dann sollten Solarpanels und Wärmepumpen installiert werden. Die Fassaden- und Fensterdämmung hingegen ist angesichts ihrer hohen Kosten nur schwer rentabel zu gestalten. Dennoch raten wir den Eigentümern, sämtliche Sanierungsarbeiten durchzuführen, auch diejenigen, die nicht rentieren. Die Gesamtenergieeinsparung ist grösser und das Risiko einer Preisexplosion ist im derzeitigen Umfeld real, wie die Folgen des Kriegs in der Ukraine aufzeigen.

 

Wie viel kostet es konkret, ein Gebäude nachhaltig zu sanieren?

 

Die Gesamtkosten einer vollständigen energetischen Sanierung belaufen sich auf etwa 15% des Immobilienwerts, sofern das Gebäude ordnungsgemäss instand gehalten wurde. Andernfalls können sie auch auf bis zu 40% des Werts ansteigen, wenn man bedenkt, dass das ganze Gebäude auf den neuesten Stand gebracht werden soll, sobald man mit Sanieren beginnt. Zudem muss der Vermieter gemäss Mietrecht den Grossteil der Instandhaltungskosten selbst tragen, bei Renovierungsarbeiten bis zu 80% der Gesamtkosten. Also ja, für Eigentümer ist die Energiewende mit Kosten verbunden, da sollte man sich nichts vormachen.

 

Kann eine energetische Gebäudesanierung unter diesen Bedingungen trotzdem rentabel sein?

 

Man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Viele grosse Immobilieneigentümer, wie Pensionskassen, Versicherungen oder Investmentfonds, haben ihren Gebäudepark in den letzten Jahren nicht ausreichend instand gehalten. Sie haben daher überbewertete Aktiva in ihren Büchern, dank denen sie vorübergehend hohe Renditen erzielen können. Alle für die Verbesserung der Nachhaltigkeit erforderlichen Investitionen werden sich unweigerlich auf diese Rentabilität und damit letztlich auf die Dividenden bzw. Renten auswirken. Das enthält sozialen Sprengstoff!

 

Wie also das Problem lösen, ohne eine soziale Explosion zu verursachen?

 

Mit Subventionen der öffentlichen Hand? Mit einer Senkung der Renten? Es müssen in der Tat Lösungen für die sozialverträgliche Gestaltung der Energiewende gefunden werden. Das bedeutet auch, dass wir unsere Denkweise grundlegend ändern müssen. Dazu gehört nicht nur der verantwortungsvollere Verbrauch, von dem man immer spricht, sondern zum Beispiel auch die Wiederaufwertung bestimmter Berufe. In Freiburg, wo ich lebe, schliessen jedes Jahr rund 1500 Personen das Gymnasium, 450 Personen eine kaufmännische Lehre und eine einzige Person eine Spenglerlehre ab. Das wird nicht aufgehen! Glücklicherweise korrigiert der Markt diese Situation, denn ein Maurer kann heute mehr verdienen als ein Bankangestellter. Hoffen wir, dass das auch in unseren Köpfen ankommt und sich unsere Vorstellung davon, was ein guter Beruf für unsere Kinder ist, dementsprechend ändert.
 

Olivier Toublan - Immoday.ch