Die kritische Grösse eines Anlagefonds, um grosse institutionelle Anleger zu gewinnen, liegt bei ungefähr 1 Milliarde Franken. Doch was soll ein Fonds tun, der kleiner ist? Er sollte sich ausschliesslich einer Nische widmen und mit einem hervorragenden Leistungsausweis aufwarten, welcher die institutionellen Anleger trotzdem zu überzeugen vermag. Dabei sollte er sich bis zur Erreichung der kritischen Grösse auf Privatanleger konzentrieren.
Im ersten Teil unserer Befragung haben wir gesehen, dass Immobilienfonds, die das Interesse der institutionellen Anleger wecken wollen, die kritische Grösse aufweisen müssen. Diese liegt bei mindestens 1 Milliarde Franken. Was also soll ein Fonds tun, der kleiner ist? Diese Problematik betrifft zahlreiche – kotierte und nicht kotierte – Immobilienvehikel in der Schweiz. Laut den Fachleuten und Managern, die wir befragt haben, besteht die Strategie darin, sich zunächst auf eine Nische zu beschränken und dann seine Managementfähigkeiten unter Beweis zu stellen.
«Unter Nischenstrategie verstehe ich einen Fonds, der das Augenmerk auf eine spezifische Region oder eine besondere Art von Immobilien, z. B. Logistik, legt. Einen Fonds, bei dem der Mehrwert von einem Managementteam erbracht wird, das sein Segment oder seine Region bestens kennt, das nicht auf Wachstum um jeden Preis aus ist und das ausschliesslich auf sehr gute Anlagegelegenheiten fokussiert, womit die Performance des Portfolios gewährleistet wird, auch wenn dieses nicht sehr diversifiziert ist», erklärt Lucia Morgillo, CEO von IMvestir, einem Beratungsunternehmen für indirekte Immobilienanlagen in der Schweiz, und ehemalige Leiterin der Abteilung Fund Services der Banque Cantonale Vaudoise.
Die eigene Nische aus dem Effeff kennen
Agnès Haulbert, Head of Portfolio Management Real Estate bei Patrimonium, verantwortlich für den Patrimonium Swiss Real Estate Fund, stösst ins selbe Horn. Wenn ein Fonds klein ist, müsse er auf alternative, riskantere Strategien setzen, die längerfristig auch ein höheres Renditepotenzial bieten. «Wir haben ein Produkt, den Truststone, mit einem Immobilienportfolio von knapp über 100 Millionen Franken. Mit dieser SICAV investieren wir in Wohnimmobilien, aber auch in etwas speziellere Objekte wie Industrie- und Gewerbeimmobilien, die umgebaut werden sollen. Ein solches Produkt ist für institutionelle Anleger bislang jedoch uninteressant, da diese Stabilität anstreben und Risiken meiden. Es richtet sich eher an Family Offices oder an grosse Privatanleger.»
Simona Terranova, Mitgründerin und Partnerin bei MT Finance, versichert, dass sich ein Fonds abheben kann, wenn er seinen Markt hervorragend kennt, über ein gutes Netzwerk verfügt und flexibel genug ist, um die sich ihm bietenden Gelegenheiten sofort zu nutzen. «Es gibt zahlreiche Gebäude, die z. B. zu klein oder atypisch sind oder umfangreiche Arbeiten erfordern, weshalb sie die grossen Institute nicht interessieren.» Arnaud Andrieu, CEO von Edmond de Rothschild Real Estate Investment Management (Suisse), erklärt: «Das Risiko ist zwar höher, doch haben diese kleinen Fonds keine andere Wahl. Sie müssen sich auf atypische Immobilienakquisitionen konzentrieren, denn der Schweizer Markt ist hart umkämpft; da belaufen sich Grossprojekte rasch auf über 100 Millionen Franken.»
Auf riskantere Strategien setzen
Im Klartext heisst das: Will sich ein kleiner Fonds abheben, muss er auf riskantere Strategien setzen, was nicht unbedingt ein Nachteil ist, glaubt man Cyril de Bavier, CEO der Swissroc Group, die im März 2021 ihren ersten nicht kotierten Immobilienanlagefonds, den Swissroc Industrial Opportunities, aufgelegt hat, der eine klare und gezielte Strategie verfolgt: Industrieimmobilien. «Heute sind wir bei ungefähr 100 Millionen Franken und mit der aktuellen Struktur haben wir im Augenblick viel mehr Handlungsspielraum beim Management der Anlagen, als wenn wir ein kotierter Fonds wären.» Die Börsenkotierung verleiht dem Fonds zwar Glaubwürdigkeit und Rückhalt, geht aber auch mit zusätzlichen Auflagen in Bezug auf Management, Regulierung und Compliance einher, was sich in höheren Kosten niederschlägt. Um es mit den Worten von Cyril de Bavier zu sagen: «Mit einem Vehikel, das nicht an der Börse kotiert ist, haben wir weniger Regulierung und daher niedrigere Verwaltungskosten.»
Strategie der kleinen Fonds
Längerfristig besteht die Strategie praktisch all dieser kleinen Fonds – unverhohlen oder insgeheim – darin, zu wachsen und eines Tages diese berühmte kritische Grösse zu erreichen, um die grossen institutionellen Anleger anzulocken. Hierzu schlagen all diese Vehikel mehr oder weniger denselben Weg ein. Sie müssen zuerst die Privatanleger überzeugen, die, wie Cyril de Bavier betont, «bereit sind, grössere Risiken einzugehen, um eine bessere Performance zu erzielen als ein klassischer Immobilienfonds. Dies trifft auf die grossen institutionellen Anleger in der Regel nicht zu, weil sie viel vorsichtiger sind.» Anschliessend müssen die Fonds mit einem ausreichend guten Track Record aufwarten und ein solides und gut diversifiziertes Portfolio aufbauen, mit welchem die Risiken auf ein Minimum beschränkt werden, um neue Anleger zu überzeugen, sich immer wieder an Kapitalerhöhungen zu beteiligen, bis die gewünschte kritische Grösse letztlich erreicht ist. Danach wird wohl eine Börsenkotierung angestrebt, denn diese beruhigt die grossen institutionellen Anleger zusätzlich.
Dazwischen gibt es aller Voraussicht nach eine Etappe, in der die kleinen Pensionskassen angesprochen werden. Das meint zumindest Simona Terranova: «Liegt der Fonds unterhalb einer bestimmten Grösse, so winken grosse institutionelle Anleger in der Regel ab. Allerdings gibt es in der Schweiz unzählige kleine Pensionskassen, die daran interessiert sind, in einen Fonds mit einem kleineren Immobilienportfolio zu investieren.»
Auch die Schwergewichte mussten da durch
Diesen Weg mussten auch die derzeitigen Schwergewichte der Branche beschreiten. Nehmen wir zum Beispiel den Fonds Edmond de Rothschild Real Estate SICAV – oder kurz ERRES –, der mit einer Marktkapitalisierung von fast 2,3 Milliarden Franken per 31. Dezember 2021 heute zu den grössten Immobilienfonds in der Schweiz gehört. Wie Jonathan Martin, Senior Manager, Fund Management Switzerland bei Edmond de Rothschild REIM (Suisse) SA, erklärt, waren die Anfänge des Fonds viel bescheidener. «Als der Fonds aufgelegt wurde, waren die Investoren in erster Linie Kunden der Bank. Danach folgten mehrere Kapitalerhöhungen und seitdem sind zu diesen Privatanlegern auch institutionelle Investoren und Pensionskassen hinzugestossen, die heute ungefähr 60% unserer Anleger ausmachen.»
Doch aufgepasst: kein Wachstum um jeden Preis. Darauf verweist Laure Carrard, Spezialistin für indirekte Immobilienfonds und Geschäftsführerin der IMvestir Partners SA: «Wächst der Fonds zu rasch, so kann dies ein Alarmsignal sein. Der Anleger möchte nicht, dass der Fondsmanager um jeden Preis kauft, nur weil Kapital vorhanden ist, denn das kann sich negativ auf die Rentabilität des Fonds auswirken. Ein institutioneller Investor bevorzugt ein regelmässiges, kontrolliertes und nicht zu aggressives Wachstum, das die Portfolioperformance nicht verwässert und der bei Auflegung des Vehikels festgelegten Strategie entspricht.»
Bisweilen ist die kritische Grösse zweitrangig
Laure Carrard, die im Übrigen als Senior Real Estate Portfolio Manager bei Retraites Populaires lange auch im «Lager» der institutionellen Anleger tätig war, folgert indes: «Diese kritische Grösse ist nur für einen neuen Fonds, dessen Manager nicht sehr bekannt ist, wirklich von Bedeutung. Sie beweist nämlich, dass es diesem gelungen ist, sich neues Kapital zu beschaffen und somit Investoren anzulocken, dass er interessante Objekte zu erwerben vermochte und dass er sich dabei an die angekündigte Strategie gehalten hat. Handelt es sich um einen zweiten Fonds oder einen Manager, dessen Leistungsausweis bereits bekannt ist, dann ist die kritische Grösse ein zweitrangiges Kriterium.»
Olivier Toublan für Immoday