Man muss die traditionelle Konfiguration der Wohnungen überdenken

07/09/2021

Olivier Toublan

Immoday

3 min

Die Pandemie und der Lockdown haben das Verhalten der Mieter verändert, die gezwungen waren, im Homeoffice zu arbeiten. Neue Trends zeichnen sich ab, welche die Immobilienentwickler veranlassen sollten, ihr Angebot an diese neue Nachfrage anzupassen. Nun sind geräumigere und hochwertigere Wohnungen gefragt.

 

Während des Lockdowns wurde viel über das Verhalten der Mieter in der Schweiz gesprochen. Es hiess unter anderem, sie würden von den Grossstädten aufs Land ziehen, bräuchten mehr Platz zum Entspannen oder müssten ihre Wohnung umgestalten, um ein für das Homeoffice geeignetes Büro einzurichten.
 

Doch wie sieht es heute aus – nach der Rückkehr zur Normalität? Hat sich das Verhalten der Mieter wegen der Pandemie wirklich verändert? Für die Anleger und Verwalter von Immobilienfonds ist dies nicht ganz unerheblich, denn wenn sich die Nachfrage geändert hat, werden sie ihr Angebot rasch anpassen müssen oder sie riskieren steigende Leerstandsquoten. Wir haben hierzu Yves-Marie Maitre befragt, Direktor Bewirtschaftung / StWE bei der DBS Group, die in der Romandie und in der Deutschschweiz präsent ist.
 

Yves-Marie Maitre, sind all diese pandemie- und Lockdown-bedingten Veränderungen im Verhalten der Mieter, von denen immer wieder die Rede ist, ein echter Trend oder ein Strohfeuer?


Dies ist zweifelsohne ein echter Trend, den wir bei unseren Mietern, aber auch bei unseren Mitarbeitenden, die ebenfalls Eigentümer oder Mieter sind, feststellen. Für die Anleger ist sehr wichtig, diese neuen Trends zu verstehen, nicht etwa um alte Wohnungen umzubauen – was gebaut ist, ist gebaut –, sondern für die neuen Bauvorhaben, damit das Angebot der neuen Nachfrage und der neuen Situation entspricht. Es ist notwendig, die traditionelle Konfiguration von Wohnungen zu überdenken.
 

Was bedeutet das?


Es braucht nicht unbedingt mehr Zimmer, doch die Wohnungen müssen geräumiger und hochwertiger werden. Aufgrund des Lockdowns stieg der Bedarf an grösseren Gemeinschaftsräumen, in denen alle Familienmitglieder zusammenkommen und mehr Zeit zuhause verbringen konnten. Natürlich musste auch ein kleiner Nebenraum vorhanden sein, der zu einem Büro fürs Homeoffice umgewandelt werden konnte. Die Leute haben rasch erkannt, dass es nicht optimal ist, mit einem Computer in der Küche oder im Wohnzimmer zu arbeiten. Der grosse Luxus ist zu guter Letzt, einen eigenen Garten zu haben, um sich im Freien zu entspannen. Doch das ist natürlich etwas schwieriger, vor allem wenn man im Stadtzentrum wohnt.
 

Wenn wir schon vom Stadtzentrum sprechen. Es hiess, dass die Leute von der Stadt aufs Land ziehen würden.


Offen gesagt habe ich diesen Trend nicht festgestellt. Das hört man zwar häufig, doch bleibt es für die meisten Menschen eine Fantasievorstellung. Nicht unbedingt wegen des Geldes. Die Menschen – vor allem Jugendliche – sind einfach nicht bereit, die Stadt zu verlassen und auf die Dienstleistungen, das kulturelle Angebot und die wirtschaftliche Attraktivität zu verzichten. Kleinere Orte mit einer verkehrstechnisch guten Anbindung könnten jedoch profitieren.
 

Werden sich diese neuen Trends langfristig wirklich durchsetzen?


Ich denke schon. Seitens der Mieter gibt es tatsächlich eine Nachfrage nach hochwertigeren Wohnungen. Im Übrigen haben viele Immobilienentwickler damit begonnen, solche Wohnungen zu bauen. Dies ist nur ein weiterer Schritt in der sich ständig verändernden Konfiguration von Wohnungen. Schauen Sie sich nur die Bäder und Küchen an. Vor 40 Jahren waren sie noch winzig klein und zweckorientiert, heute gelten sie als echte «Wohnräume». Eine Rückkehr wäre nicht mehr möglich.
 

Der Trend geht also hin zu Wohnungen mit weniger Zimmern, aber einer grösseren Wohnfläche?


Das könnte der Fall sein. Allerdings müssten es die Vorschriften zulassen. In diesem Punkt hinken die Verwaltungsbehörden hinterher.

 
 

Das heisst?


In Genf beispielsweise hält das Gesetz über Abbrüche, Umbauten und Renovierungen (Loi sur les démolitions, transformations et rénovations; LDTR) fest, dass die Miete anhand eines Preises pro Zimmer zu berechnen ist. Dies verleitet dazu, so viele Zimmer wie möglich auf kleinstem Raum unterzubringen. Kurzum, es werden richtige Kaninchenkäfige gebaut – wenn ich das so sagen darf –, was in krassem Gegensatz zu dem sich heute abzeichnenden Trend steht.

Wenn die Mieten von den Vorschriften diktiert werden, gibt es zweifelsohne einen Qualitätsverlust. Daher wäre ein Perspektivenwechsel angezeigt: Die Mieten sollten im Hinblick auf den Markt flexibler werden. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich festhalten, dass ich nicht die völlige Abschaffung der Vorschriften fordere, sondern lediglich eine Lockerung und schnellere Anpassung an die Gegebenheiten des Marktes verlange. So könnte die Wohnungskrise in den Grossstädten der Westschweiz, die auf eine Überregulierung und die unverhältnismässige Macht der Verwaltungsbehörden zurückzuführen ist, zum Teil gelöst werden.
 

Wirklich?


Davon bin ich überzeugt. In Genf ist diese Wohnungskrise nicht auf eine mangelnde Bereitschaft der Investoren zurückzuführen, sondern auf ein administratives und rechtliches Labyrinth, das sie abschreckt.
 

Zahlen sich für einen institutionellen Anleger hochwertige Wohnungen aus?


Sicherlich. Das kostet anfänglich zwar etwas mehr, wird aber der Nachfrage besser gerecht, sodass die Leerstandsquoten in der Folge tiefer liegen, was sich auszahlt, vor allem auf sehr lange Sicht – und die institutionellen Anleger investieren immer sehr langfristig.
 

Zeichnen sich auch bei den Büroflächen pandemiebedingt neue Trends ab?


Mit der Zunahme der Telearbeit hat sich der Bedarf an Büroflächen eindeutig verändert. Viele Unternehmen werden ihre Büroflächen umstrukturieren und wahrscheinlich reduzieren, was zu einer höheren Leerstandsquote führen wird. Mieter von Büroflächen gehen keine langfristigen Verpflichtungen mehr ein. Wo es bis vor kurzem noch 10-Jahres-Mietverträge gab, gibt es jetzt nur noch 3-Jahres-Mietverträge. Die Investoren wiederum wollen «Plug and Play», d. h. Qualitätsbüros, die sofort und ohne Umbauten genutzt werden können.
 

Wie steht es mit Gewerbeflächen, Läden und Geschäften?


Auch hier konzentriert sich die Nachfrage der Investoren auf Qualität, auf bestimmte Sektoren, die weniger stark getroffen wurden, d. h. eher auf Flächen an zentralster Lage oder an einer wichtigen Verkehrsachse. In diesem Bereich sind die Preise nach wie vor hoch und ist die Leerstandsquote niedrig. Allerdings muss man auch realistisch sein: Gewerbeimmobilien sind bei den institutionellen Anlegern heute nicht besonders gefragt. Diese ziehen Wohnimmobilien vor – ein Trend, der anhalten dürfte.
 
 

Olivier Toublan für Immoday