
Die Stadt Zürich hat ihre Mietverträge angepasst und kann künftig ihre Mieter zum Auszug zwingen, um deren unterbelegte Wohnungen auf den Markt zu bringen. Bei mehr als 1000 Wohnungen wird derzeit eine Kontrolle durchgeführt. Diese Änderung der Mietverträge wurde angefochten, doch das Bundesgericht hat der Stadt Zürich in letzter Instanz Recht gegeben. Dies könnte anderen Schweizer Städten und sogar privaten Vermietern als Vorbild dienen, doch ist es wenig wahrscheinlich, dass sie vor Gericht damit durchkommen würden.
Die Nachricht überrascht: Laut dem Schweizer Fernsehen können Mieter einer unterbelegten Wohnung in der Stadt Zürich zum Auszug gezwungen werden. Grund dafür ist eine Änderung der Mietverträge der Stadt für die Vermietung von deren Wohnungen. Sie wurde 2020 in die Verträge aufgenommen. Es gilt eine Übergangsfrist von fünf Jahren. Betroffen sind auch die bestehenden Mietverhältnisse.
Unterbelegung der Wohnungen ist ein Problem
Bei von der öffentlichen Hand vermieteten Wohnungen haben die Mieter bei der Unterzeichnung des Mietvertrags häufig bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Zum Beispiel muss die Auslastung einer Wohnung angemessen sein, müssen die Mieter ihren Wohnsitz in der betreffenden Stadt haben oder es gilt für subventionierte Wohnungen eine Einkommensgrenze.
Doch nach der Unterzeichnung des Mietvertrags geht das Leben weiter: Die Kinder ziehen aus, die Paare trennen sich, es kommt zu Todesfällen. Die Mieter verlassen ihre Wohnung in der Regel jedoch nicht, auch wenn sie die erforderlichen Voraussetzungen – beispielsweise in Sachen Mindestbelegung – nicht mehr erfüllen. Solange die Mieten bezahlt wurden, gab es von den Städten bisher kaum Kontrollen.
Wie steht es mit dem Recht auf Privatsphäre?
Bisher – denn laut dem Schweizer Fernsehen hat die Stadt Zürich nun beschlossen, alle bestehenden Mietverhältnisse daraufhin zu kontrollieren, ob diese Regeln – namentlich zur Mindestbelegung – eingehalten werden.
Das Problem ist, dass dieses Vorgehen gegen das Recht auf Privatsphäre verstossen könnte, zumal die entsprechenden Änderungen erst in den Mietvertrag aufgenommen wurden, als das Mietverhältnis schon bestand.
Einige Mieter, denen eine Kündigung drohte, haben daher bei den Gerichten gegen die Stadt geklagt – und haben in erster und zweiter Instanz sogar gewonnen. Doch die Stadt hat das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen und hat letztlich Recht bekommen.
Bundesgericht gibt der Stadt Zürich Recht
Im Entscheid 4A_82/2024 des Bundesgerichts vom 19. August 2024 wird die Klage einer Witwe abgewiesen, die seit knapp 30 Jahren in einem Sechs-Zimmer-Einfamilienhaus der Stadt wohnte und die Rechtmässigkeit dieser Unterbelegungsbestimmung angefochten hat.
Für die Stadt Zürich war die Sache klar: Eine alleinstehende Person darf kein grosses Sechs-Zimmer-Einfamilienhaus bewohnen, das an eine Familie vergeben werden könnte. Das Bundesgericht erachtete diese Einschränkung für subventionierte Wohnungen der öffentlichen Hand als angemessen, auch wenn sie zur Folge hat, dass die Mieterin ausziehen muss, wenn die Bedingung nicht mehr erfüllt ist.
Zudem bestätigte das Bundesgericht die Mietvertragsbestimmung, welche die Mieter bei unter dem Marktpreis angebotenen Wohnungen verpflichtet, bei berechtigtem Interesse der Stadt als Vermieterin Auskunft über ihre wirtschaftliche Situation zu geben.
Mehr als 1000 Wohnungen werden kontrolliert
Laut Kornel Ringli von Liegenschaften der Stadt Zürich, der vom Schweizer Fernsehen befragt wurde, werden derzeit über 1000 Wohnungen kontrolliert, von denen etwa 150 stark unterbelegt sind (Wohnungen, bei denen die Mindestbelegung um zwei Personen unterschritten wird). Er versichert, dass die Stadt die Mieter nicht zum Auszug zwingen wird, ohne ihnen eine Ersatzwohnung anzubieten.
Dieses Verhalten ist zwar legal, doch gefällt es auf Immobilienrecht spezialisierten Anwälten wie Olivier Klunge ganz und gar nicht. Dieser sieht darin einen Verstoss gegen den Schutz der Privatsphäre und einen schwer zu rechtfertigenden Eingriff des Vermieters in das Privatleben seines Mieters, der aufgrund seiner Lebensentscheidungen nicht diskriminiert werden darf.
Für Olivier Klunge ist es ein Grundprinzip des Mietrechts, dass ein Mieter, der einen Mietvertrag unterzeichnet hat und seine Miete regelmässig bezahlt, in seiner Wohnung bleiben kann, und zwar unabhängig von den familiären Umständen.
Könnten private Vermieter dasselbe tun?
Die Stadt Zürich konnte ihre neuen Mietbedingungen durchsetzen. Nun stellt sich die Frage, ob auch private Vermieter ähnlich handeln könnten, um seit Jahren unterbelegte Wohnungen verfügbar zu machen.
Laut Olivier Klunge hat auch der private Vermieter die Möglichkeit, bestimmte Kriterien im Mietvertrag festzulegen, die eine Kündigung zur Folge haben, wenn sie nicht mehr erfüllt sind. So muss ein Hauswart seine Wohnung aufgeben, wenn er nicht mehr als Hauswart tätig ist.
Noch weiter zu gehen, beispielsweise jemanden zum Auszug zu zwingen, wenn die Wohnung unterbelegt sei, würde jedoch gegen die verfassungsmässigen Rechte der Person verstossen, so Olivier Klunge. Kurzum: Ein privater Vermieter dürfte diese Mietbedingungen grundsätzlich nicht in einen Mietvertrag aufnehmen.
Das geht im Übrigen auch aus dem Entscheid des Bundesgerichts hervor. Dieser bezieht sich nämlich ausschliesslich auf subventionierte Wohnungen der öffentlichen Hand. Doch mit dem Entscheid hat das Bundesgericht eine Türe geöffnet – wir werden sehen, ob sie noch weiter aufgeht.
Immoday-Redaktion
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