Sind Immobilien in der Schweiz überbewertet?

14/12/2022

Olivier Toublan

Immoday

5 Min

Das Wachstum der Immobilienpreise in der Schweiz hat sich in den letzten Monaten deutlich verlangsamt. Nach den Jahren des ungebrochenen Anstiegs scheint der Moment der gefürchteten Korrektur gekommen zu sein. Aber werden Immobilien in der Schweiz wirklich zu hoch gehandelt, und wenn ja, um wie viel im Vergleich zu ihrem Fundamentalwert?

 

Der Befund ist eindeutig: Seit 20 Jahren steigen die Preise für Wohnimmobilien in der Schweiz. Es ist ein konstanter Anstieg seit 2003, sowohl bei Einfamilienhäusern als auch bei Stockwerkeigentum. Mit einer einzigen Ausnahme in den Jahren 2016 und 2017, in denen es eine leichte Preiskorrektur gab, die durch die darauffolgenden Preisanstiege schnell wieder getilgt wurde. 
 

In den letzten Monaten verzeichneten mehr als die Hälfte der Schweizer Kantone eine deutliche Verlangsamung des Anstiegs oder sogar einen Rückgang der Immobilienpreise, zumindest wenn man den neuesten Zahlen von RealAdvisor Glauben schenkt. Wird auch diese Korrektur in den kommenden Monaten schon wieder vorüber sein, oder wird sie dieses Mal – in einem turbulenten wirtschaftlichen Umfeld mit steigenden Zinssätzen, Material- und Baupreisen und dem Höhenflug der Inflation – von grösserem Ausmass sein?

Um das herauszufinden, hat Wüest Partner eine umfangreiche Studie durchgeführt, die den Fundamentalwert von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum mit ihrem aktuellen Marktwert vergleicht. Damit sollen zwei Fragen beantwortet werden. Erstens: Ist die kontinuierliche Preissteigerung der letzten 20 Jahre durch die wirtschaftliche Entwicklung gerechtfertigt oder sind die Immobilien überbewertet? Zweitens: Welche Preisentwicklungen sind in Zukunft bei verschiedenen Wirtschaftsszenarien möglich?

 

Preise mitunter abgekoppelt von den Fundamentaldaten 
 

Dabei muss zwischen dem Marktwert einer Immobilie und ihrem von wirtschaftlichen Fundamentaldaten bestimmten Wert unterschieden werden. Zumal beide manchmal voneinander entkoppelt sein können, wodurch eine Blase entsteht. «Normalerweise folgt auf solche Blasen eine Periode der Preisanpassung, in der die Preise sinken oder weniger schnell wachsen, bis sie sich wieder ihrem Fundamentalwert annähern», erläutern die Ökonomen von Wüest Partner.
 

Sie untersuchten daher den Einfluss verschiedener Fundamentaldaten auf die Preisentwicklung von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum und kamen zu dem nicht wirklich überraschenden Ergebnis, dass «das Bevölkerungswachstum, das Wachstum des realen BIP und die Inflation einen positiven Effekt auf die Preise von Eigentumswohnungen haben. Arbeitslosigkeit, der Hypothekarzinssatz und Leerstand wirken sich dagegen negativ aus.»
 

Genauer gesagt: «Ein Anstieg des Bevölkerungswachstums um einen Prozentpunkt steigert das Wachstum der Preise für Einfamilienhäuser um 1,29 Prozentpunkte und das für Stockwerkeigentum um 1,69 Prozentpunkte. Ebenso wie ein Anstieg des Hypothekarzinssatzes um einen Prozentpunkt das Preiswachstum bei Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum um 0,72 bzw. 0,67 Prozentpunkte verlangsamt.» 

 

Wo stehen wir heute? 
 

So sieht es in der Theorie aus. Aber wo stehen wir heute konkret? Insgesamt schätzen die Ökonomen von Wüest Partner, dass im Jahr 2021 die Preise für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum 1,05 % bzw. 6,30 % über ihrem Fundamentalwert lagen. Also nichts, was wirklich erschreckt.
 

«Der Preis für Einfamilienhäuser ist stärker an die Fundamentaldaten gebunden, wohingegen der Preis für Stockwerkeigentum volatiler ist und empfindlicher auf die subjektiven Erwartungen der Akteure oder die Auswirkungen eines euphorischen Marktes zu reagieren scheint. Es ist auch denkbar, dass sich in Zeiten steigender Preise, wie seit 2005, mehr Haushalte für den Kauf einer Wohnung statt eines Hauses entscheiden, da Letztere unerschwinglich geworden sind.» Dieser Substitutionseffekt könnte die überschwängliche Nachfrage nach Stockwerkeigentum und die schnellere Preisentwicklung erklären. 

 

 

Erste Hypothese: Die Wirtschaft gerät in eine Rezession 
 

Mithilfe des Modells, das die Analysten von Wüest Partner entwickelt haben, lässt sich die Preisentwicklung je nach Wirtschaftslage in den nächsten Monaten vorhersagen. Die Analyse wurde anhand mehrerer verschiedener Szenarien durchgeführt. Dabei begannen sie mit dem am meisten gefürchteten Szenario, einer Rezession mit einem Rückgang der Wirtschaftsaktivität und einer hohen Arbeitslosenquote. «In diesem Fall wäre die Schweiz für Einwanderer weniger attraktiv, was einen leichten Rückgang der Bevölkerungszahl und einen starken Anstieg der Leerstandsquote bewirken würde. Auch die Nachfrage wäre schwach, was zu einer Deflation führen würde.» In diesem Szenario, das zwar pessimistisch, aber angesichts der aufziehenden Wolken nicht vollkommen abwegig ist, würden die Immobilienpreise runtergehen, was über fünf Jahre einen Wertverlust von 14 % bei Einfamilienhäusern und 22 % bei Stockwerkeigentum nach sich ziehen würde. 

 

Zweite Hypothese: Es erwartet uns eine Stagflation 
 

Bei einer Stagflation, das heisst einer überdurchschnittlich hohen Inflation ohne Wirtschaftswachstum, würden die Zentralbanken die Zinssätze stark erhöhen, um die Inflation zu begrenzen, was sich wiederum in einem Anstieg der Hypothekarzinsen widerspiegeln würde. Das Bevölkerungswachstum wäre gleich null, da die Schweiz an Attraktivität verlieren würde, denken die Ökonomen von Wüest Partner. Mit der Folge, dass die Zahl der leerstehenden Wohnungen stärker zunehmen würde. In diesem Szenario würden Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum in den nächsten fünf Jahren 6 % bzw. 12 % ihres Wertes verlieren.

 

Dritte Hypothese: Die Wolken lösen sich schnell auf 
 

Dieses Szenario, das für die Ökonomen von Wüest Partner das wahrscheinlichste ist, «stützt sich auf unsere Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten fünf Jahren. Es geht von einem durchschnittlichen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, einem leichten Rückgang der Leerstandsquote und einer überdurchschnittlich hohen Inflation aus, die jedoch wieder in den Zielkorridor der SNB (zwischen 0 und 2 %) zurückkehrt.» In diesem Szenario würden die Preise für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum in fünf Jahren um 17 % steigen. Dies entspricht durchschnittlichen Preissteigerungen von etwas mehr als 3 % pro Jahr für beide Kategorien.

 

Vierte Hypothese: Das Jahr 2022 wiederholt sich 
 

Für die Optimisten hat Wüest Partner ein letztes Szenario erarbeitet. Dieses geht davon aus, dass sich die Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren ähnlich wie 2022 entwickelt, und zwar mit einem überdurchschnittlichen Realwachstum (2,3 % erwartet für 2022, wohingegen der Durchschnitt im Zeitraum 1985–2021 bei 1,8 % lag) und einer sehr niedrigen Arbeitslosigkeit. «Dies stellt eine günstige konjunkturelle Situation dar, die die Nachfrage anregt. Gleichzeitig sinkt die Zahl der leerstehenden Wohnungen im Jahr 2022, was den Druck auf die Preise weiter verstärkt.» Nach diesem Szenario könnte man für das Jahr 2022 mit einem Wachstum von 6,5 % für Einfamilienhäuser und 6,3 % für Stockwerkeigentum rechnen. «Wenn dieses Szenario in den nächsten fünf Jahren anhält, hätten wir Wertsteigerungen von 37 % für Einfamilienhäuser und 36 % für Stockwerkeigentum.» 

 

Olivier Toublan, Immoday